Rudolf Steiner hat Friedrich Eckstein eine bedeutende Rolle auf dem Wege seiner inneren Entwicklung zugebilligt. In einem Brief an ihn schreibt er, dass es zwei Ereignisse in seinem Leben gegeben habe, „die ich so sehr zu den allerwichtigsten meines Daseins zähle, daß ich überhaupt ein ganz anderer wäre, wenn sie nicht eingetreten wären. Über das eine muß ich schweigen, das andere aber ist der Umstand, daß ich Sie kennenlernte. Was Sie mir sind, das wissen Sie wohl noch besser als ich selbst; daß ich Ihnen unbegrenzt zu danken habe, das aber weiß ich… .“[1]
[1] Rudolf Steiner an Friedrich Eckstein. [Ende] November 1890. In: Rudolf Steiner. Briefe Bd. II. G.A.39. Dornach 1987. S. 50-51.
Das Ereignis, über das er schweigen muß ist von allen Interpreten als die Begegnung mit dem Meister, von der er drei Jahrzehnte später in seiner Autobiografie erzählt hat, verstanden worden. Rudolf Steiner stellt damit die Begegnung mit Friedrich Eckstein in den Rang der Begegnung mit dem Meister. Seine Biografen haben im Gegensatz dazu Ecksteins Rolle im Leben Rudolf Steiners nie so gewichtig eingeschätzt.
Man hat in Eckstein vor allem einen großen Kenner Goethes und der deutschen Literatur gesehen, der Steiner auf die okkulte Symbolik bei Goethe hingewiesen und ihm die Kenntnis der Geheimlehre Blavatzkys vermittelt habe. Prägend für diese Auffassung scheint Emil Bock gewesen zu sein, der im Anschluß an Rudolf Steiners Darstellung[1] einer wichtigen Auseinandersetzung mit Friedrich Eckstein erklärte: „Eckstein war also ein Okkultist, der nicht meditiert, der statt dessen lauter akrobatische magische Übungen macht, der aber das nicht macht, was den mystischen Weg betreten lässt an dem Punkte, von dem die Einleitung des Buches ‚Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens‘ spricht.“[2] Bock begründet seine Auffassung damit, dass Eckstein zeit seines Lebens Kantianer gewesen sei. Kant war nämlich der Überzeugung, dass eine Erkenntnis der Dinge an sich nicht möglich sei. Es hat daher für einen Kantianer wenig Sinn, seine denkerischen Fähigkeiten meditativ zu üben, um mit ihrer Hilfe in ein übersinnliches Dasein einzudringen: Eckstein „hat keinen Wert darauf gelegt, den Intellekt durch Steigerung und innere Erkraftung zum Organ realer Geisterkenntnis zu machen. Vielmehr hat er mit der Klugheit des menschlichen Intellektes alles in der Welt kennengelernt und überschaut, ohne selbst nach einer Verwandlung seiner geistigen Fähigkeiten zu streben.“ Für seine Aussage, Eckstein habe stattdessen lauter akrobatische magische Übungen gemacht, gibt Bock keine Quelle an.
So klar der verdienstvolle Autor seinen Gedanken auch darstellt, steht er doch in einem klaren Gegensatz zu der Aussage Steiners, Eckstein werde noch besser wissen als er, was er für Steiner sei. Denn damit spricht er Eckstein ein klareres Bewusstsein von dem zu, was zwischen ihnen sich abspielt. Auch die unbegrenzte Dankbarkeit, die Rudolf Steiner ausspricht sowie der Vergleich mit dem Meister sprechen dagegen. Ich möchte daher im Folgenden zeigen, dass Eckstein sehr wohl meditiert hat, wenn auch nicht in der anthroposophischen Art, und dass er dadurch zu einem erfahrenen Okkultisten geworden ist.
Aufgrund der Diskretion Ecksteins, von der Steiner im Lebensgang berichtet, gibt es nur wenige eindeutige Zeugnisse, die Ecksteins okkulte Erfahrungen und Kenntnisse belegen. Das deutlichste Zeugnis stammt von Jules Sauerwein: „Eckstein gab mir bestimmte erhellende Einblicke in Bezug auf das innere Leben, die mir noch heute ebenso wertvoll sind wie vor dreiundzwanzig Jahren. Er war es, der mir zum Beispiel beibrachte, dass man, bevor der ätherische Leib in einen Zustand wahrhaften Gleichgewichts gebracht werden kann, den Punkt erreichen muss, in dem das Bewusstsein der verschiedenen Partien des ätherischen Leibes ausgedehnt werden kann auf die korrespondierenden Teile des physischen Leibes. Unter den gewöhnlichen Verhältnissen denken wir in unserem Haupt, nehmen unsere Gemütsbewegungen und Impulse in der Region des Herzens und des sympathischen Systems wahr, während wir im Rest des Leibes allein die sinnlichen und triebhaften Reize bewusst gewahr werden. Ich lernte von Eckstein etwas, was ich in der Theosophie nirgends entdeckt hatte, nämlich, dass ein Mensch, bevor er ein Bewusstsein des gegenüber dem physischen Leibe höheren Prinzips – des ätherischen Leibes - haben kann, lernen muss, in jeder Partie seines Seins zu denken, in anderen Worten, er muss seine sichtbaren und unsichtbaren Organe in bewusste geistige Tätigkeit bringen und zwar mit Hilfe der im ätherischen Leib kreisenden Ströme.“[1]
[1] Jules Sauerwein. Rudolf Steiner: A Glimpse of the Beyond. In: Anthroposophy, Christmas 1929. Vol. 4. London. Übersetzt von R.Speckner. Ich verdanke Gil McHattie (Haye on Wye) die Kenntnis dieses Aufsatzes. - Vgl. auch die in Einzelheiten abweichende Übersetzung von Thomas Meyer in: Das Goetheanum. 67.Jahrgang Nr.9. (28.Februar 1988) S.64.
In einer Meditation, die Rudolf Steiner mehreren Privatleuten gegeben hat und die er auch in der ‚Esoterischen Schule‘ verwendet hat, heißt es:
„Strahlender als die Sonne,
Reiner als der Schnee,
Feiner als der Äther,
Ist das Selbst,
Der Geist in meinem Herzen.
Ich bin dies Selbst,
Dies selbst bin Ich.“[1]
[1] Rudolf Steiner. Anweisungen für eine Esoterische Schule. G.A.42/245. Dornach 1968. S.85ff.
Darin wird dem ‚Geist in meinem Herzen‘ zugeschrieben, feiner als der Äther zu sein. Dem abstrakten Denken scheint das unmöglich. Aber dem tastend im Leibe wahrnehmenden kann es nicht undenkbar bleiben. Das Vermögen, das innerlich die Bewegungen des physischen und des Ätherleibes abtastet, das die Bewegungen der Zunge und die der Luft um die Zunge herum gewahr wird, kann in die feinsten Verästelungen der Bewegungen hineinschlüpfen ohne diese zu stören. Es ist das tastend gestaltende Denken, oder - sagen wir – der Äthergeist, der nicht nur in die Wahrnehmungen des Gesichts und des Gehörs, sondern z.B. in die des Eigenbewegungssinnes und des Lebenssinnes eintauchen kann und die Vorgänge ins Bewußtsein hebt. Er lebt an der Grenze zwischen ätherischem und physischem Leibe. Es ist jenes tastende Wahrnehmen, das Sprachgestalter und Eurythmisten fortwährend üben.
Eckstein war für Jules Sauerwein von 1904 bis 1908 offenbar ein Lehrer dieser Art der inneren Beobachtung. Wann und wo hatte Eckstein das gelernt? Und konnte Eckstein das schon als er mit Steiner intim vertraut wurde?
Eckstein erinnert sich später: „Die Zeit meines intimsten Verkehrs mit Steiner fällt in die Neunziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts. Wir haben viele, viele Stunden, bei Tag und bei Nacht, alle möglichen Fragen der Menschheit miteinander erörtert. … Steiner war … in ziemlich bedrängten Verhältnissen, oft geradezu am Verhungern, so dass er meine Einladungen immer gerne annahm.“[1] Damit sind nicht die Begegnungen in dem theosophischen Kreis um Marie Lang gemeint. Es waren offensichtlich Zwiegespräche, bei denen Eckstein Steiner bewirtete. Ich nehme an, dass Eckstein ihn in seine Wohnung einlud.
[1] Edmund Schwab. Aus meinen Erinnerungen an Friedrich Eckstein. In: Blätter für Anthroposophie. 5.Jahrgang 1953, S.182.
Woher und seit wann hatte Eckstein seine Kenntnisse? Um das herauszufinden habe ich im Sommer 2013 eine Reise nach Wien unternommen und den auf zwei Bibliotheken verteilten Nachlaß Ecksteins gesichtet. Der Hamburger ‚Zweig am Rudolf Steiner Haus‘ hat mir diese Reise ermöglicht, wofür ich allen Mitgliedern herzlich danke. Sowohl in der Handschriftenabteilung der Österreichischen Nationalbibliothek wie auch in deren Musiksammlung finden sich Briefe, Manuskripte, Notizen, Zeitungsartikel von seiner Hand und solche, die ihn interessierten.[1] Besonders interessant ist der Briefwechsel mit Hugo von Hoffmannsthal, für den Eckstein eine ähnliche Bedeutung gehabt hat wie für Rudolf Steiner, der sich allerdings vor allem im Literaturarchiv Marbach befindet. Der größte Teil von Ecksteins Nachlass ist wohl auf Grund der Beschlagnahmung seiner Bibliothek am 20.9.1939 – drei Wochen nach dem Angriff auf Polen - durch Nationalsozialisten vernichtet worden.
[1] Ich habe auch die vorhandenen Briefe von Friedrich Schmidt, dem Dombaumeister, dessen Eckstein so warm im 2.Kapitel seiner Autobiografie gedenkt, von dem Mathematiker Oskar Simony, von dem Jugendfreund Ecksteins Ludwig Hevesi und von Fritz Lemmermayer durchgesehen. Auch aus der Hand seiner Frau Bertha Diener und ihres Sohnes aus zweiter Ehe Roger liegen einige für Ecksteins Biografie interessante Briefe vor. Sie alle berühren unser Thema aber nicht bzw. nur in Andeutungen.
In dem vorhandenen Restbestand wird der Okkultismus nie direkt thematisiert. Er kleidet sich in das Gewand eines kulturforschenden Blickes. Ein Beispiel mag das illustrieren. Eckstein hatte in den Dreißiger Jahren häufiger Begegnungen mit dem Musikwissenschaftler Max Graf: „21. April 34. Gespräch mit Max Graf über die absteigende Skala der Griechen. Graf sagt mir, daß die absteigenden Skalen Gemeingut der primitiven Völker sind, dass schon die alt-babylonischen Skalen nach abwärts gehen und dass die aufwärts gerichteten Tonleitern erst im Mittelalter entstanden seien. Er meint, das hänge mit der Konstruktion der Saiteninstrumente (Kithara, etc.) zusammen, wo z.B. die Hypate am Brustbein anliegend, die höchste Note und die dem Körper zunächst liegende gewesen sei. …“[1] Man wird es doch als ein bedeutendes Symptom ansehen dürfen, dass die Tonleitern vor der Inkarnation Christi abwärts führten und nachher aufwärts. Dass Eckstein sich so etwas notiert, ist wiederum ein Symptom für das, was er nicht ausspricht: für ein spirituelles Bild der Geschichte.
Auf einem anderen Blatt notiert er: „Die Urform aller Musik ist das Wechselspiel von Anodos und Kathodos. Aufgang der Gestirne und ihr Niedergang zurück – Makrobius. Daher der tiefe Gegensatz von absteigender Skala (absolutes Moll, Todestrieb) und aufsteigender (absoluter Dur-Skala). Jede Melodie ist ein Ineinanderwirken dieser beiden Tendenzen und Skalen…“[2]
Vor diesem Hintergrund ist es sehr interessant, wie er Bruckners Musiktheorie charakterisiert hat, dessen Privatschüler und Sekretär er ja war. In einer kleinen Aufzeichnung von drei Seiten, die so etwas wie ein Entwurf zu einem Vorwort zu seinem großen Brucknerwerk gewesen sein könnte, schreibt er: „Es muss bemerkt werden, dass Bruckner sich den Lehrgang der Cäcilianer, der sich aus hauptsächlich dem ‚Gradus ad Parnassum‘ von Johannes Fux herleitet, nicht zu eigen gemacht hat, dass er seine Schüler zwar mit dem Wesen der alten Tonarten hinreichend vertraut gemacht hat, dass er es aber für pädagogisch verfehlt gehalten hat, Übungen im Palestrina-Stil vornehmen zu lassen. Als ich ihm solche Studien, die ich einst unter dem Einflusse der Bellermannschen Schule gemacht hatte, vorlegte, sah er sie mit Aufmerksamkeit durch, lobte dies und tadelte jenes, meinte aber solche Arbeiten seien ganz zwecklos. Bruckners eigener Lehrgang, vor allem in der Harmonielehre, bestand darin, daß der Schüler zuerst Sicherheit der Stimmführung in der Durtonart gewinnen sollte. Erst wenn diese erreicht war, wurde zu den Moll-Tonarten übergegangen, schließlich zur Chromatik und zu den Modulationen, den richtigen Übergängen von einer Tonart zu einer anderen. Bei den Modulationen unterschied Bruckner ganz im Sinne seines einstigen Lehrers Simon Sechter zwischen den ‚diatonischen‘, den ‚chromatischen‘ und den ‚enharmonischen‘ Modulationen. Dieser Grundplan des Brucknerschen Harmonie-Systems soll im Nachfolgenden, sowohl innerhalb der Harmonielehre und der Lehre vom Generalbass selbst, als auch bei der Lehre vom Kontrapunkt etc. eingehalten werden.“[1] Man kann aus diesen drei Zeugnissen aus dem Nachlass symptomatisch sehen, wie Eckstein gearbeitet hat. Er hatte eine spirituelle Anschauung von Ursprung und Bedeutung der Musik. Er bemerkt, dass die Art und Weise wie Bruckner unterrichtet, einen spirituellen Hintergrund hat, er hebt die entscheidenden Tatsachen hervor, schweigt aber über den Hintergrund.
Interessant ist auch, was Eckstein aus Zeitungen ausgeschnitten hat, vor allem Nachrufe und Buchbesprechungen, darunter eine Besprechung einer Neuausgabe der Dichtungen der Karoline von Günderode (1780-1806), die ihn sehr beschäftigt hat.
[1] Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien, 292 Miscellanea 70 / Nr.8. S.2-3. Ca.1930-39.
Auch kommentierende Notizen zu Exzerpten aus okkulten Schriftstellern liegen vor, wie z.B. über die Vorgänge bei einer Kirchenweihe:
„Bei der Einweihung einer Kirche werden (nach Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim De occulta Philosophia) ‚die zweiundzwanzig Buchstaben des Alphabets auf den mit Asche bestreuten Boden mit dem Bischofsstabe gezeichnet.‘ In dem Kirchen-Lexikon von Wetzer und Welte, Bd. VI. Freiburg, Herder 1853, S.203 ist von den Buchstaben des lateinischen und griechischen Alphabets die Rede. Nun hat aber das lateinische Alphabet 26 und das griechische 24 Buchstaben; 22 Buchstaben hat hingegen einzig das hebräische Alphabet. Es kann sich also bei der Kirchenweihe nur um das hebräische Alphabet handeln, das mit Hilfe des Bischofsstabes in die Asche gezeichnet wird, was wohl auf eine alt-talmudisch-kabbalistische Beziehung hinweist.“[1] Um das Bezeichnende dieser Notiz zu bemerken, muss man allerdings wissen, dass etwas mehr oder weniger entfernt Ähnliches auch bei der Einweihung einer Loge, Lichteinbringung genannt, geschieht.
Ein anderes Blatt enthält die Abschrift eines Textes von dem Kirchenvater Basilius dem Großen über den Salomonischen Tempel.[2]
Excerpte aus der Encyclopedia Judaica, die sich mit den Einflüssen der Kabbala auf Jakob Böhme, F.C. Oetinger, Martines de Pasqually beschäftigen, bilden den Inhalt einer weiteren Abschrift.[1]
[1] Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Ser. n. 28098.
Derartige symptomatische Beobachtungen lösen das vorliegende Rätsel nicht, aber sie spornen den Hund auf der Fährte an. Wir werden auch auf die Bedeutung, die die Zeichen des Alphabets für Eckstein hatten wie auch vor allem die hörbaren Laute und unhörbaren Konsonanten, zurückkommen.
Es ist bekannt, dass Friedrich Eckstein etwa zwischen dem 25.1. und 5.2. 1887 Helena Blavatsky in Ostende für einige Tage besucht hat. Sie hatten trotz ihrer angegriffenen Gesundheit stundenlange Gespräche und H.P.B. zeigte ihm die Manuskripte, aus denen die Brüder Keightley in den kommenden Monaten die Geheimwissenschaft machen sollten. Schließlich überreichte sie ihm eine Stiftungsurkunde für eine theosophische Loge in Wien[1] und hängte ihm ein goldenes Rosenkreuz um den Hals.[2] Auch Helena Blavatsky hatte demnach schon nach einer kurzen Begegnung so großes Vertrauen zu ihm, dass sie ihn, wenige Tage bevor sie Mitteleuropa endgültig verließ, mit der Gründung einer Loge in Wien betraute. Durch Eckstein lernte Steiner dann – beginnend etwa zwei bis drei Jahre später - H.P.B.‘s ‚Geheimlehre‘, die im Oktober 1888 in englischer Sprache publiziert worden ist, kennen.
Ein Jahr später, im Januar 1888 veröffentlichte Eckstein in der Zeitschrift „Sphinx“ einen Aufsatz über „Die esoterische Lehre in indischer Fassung“[1]. Der 26jährige schrieb nicht über indische Esoterik sondern über „die esoterische Lehre“ und zwar „in indischer Fassung“. Er war also in der Lage westliche und östliche Esoterik miteinander zu vergleichen. Er beschreibt u.a. die Siebengliedrigkeit des Menschen in der östlichen Lehre, aber auch bei Paracelsus. Die drei höheren Erkenntnisfähigkeiten charakterisiert er äußerst knapp: Der „Wiedergeborene“ habe ein neues Gesicht, d.h. Sehen, ein neues Lauschen und ein neues sinnerfülltes Erleben der Welt. Die Charakteristik ist ungewöhnlich aber treffend. Der Aufsatz besorgt zugleich die Besprechung eines Buches von A.P.Sinnett.[2] Eckstein zeigt darin eine derart umfassende Kenntnis der indischen wie auch der rosenkreuzerischen Literatur, dass es undenkbar ist, dass er erst nach dem Besuch bei Blavatsky mit dem Studium dieser Werke begonnen hat.
[1] Friedrich Eckstein. Die esoterische Lehre in indischer Fassung. Die Sphinx. III. Jahrgang 1888, 5.Bd. S.57-60.
[2] A.P.Sinnett. Die Esoterische Lehre des Geheimbuddhismus. Übers. aus d. Englischen. Leipzig 1884. - Schon Ecksteins Überschrift der Besprechung ist eine bemerkenswerte Korrektur. Sinnett spricht von der Esoterischen Lehre „des Geheimbuddhismus“, Eckstein von der esoterischen Lehre „in indischer Fassung“.
Eine derartige Annahme setzt aber normalerweise voraus, dass sie bereits vorher in einem anderen Logenzusammenhang (Obödienz) die entsprechenden Grade innegehabt haben muss.[1] Da Helena Blavatsky eine Ausnahmeerscheinung war, ist es zwar möglich, dass Yarker unter bewusster Außerachtlassung der Regeln sie als Kennerin der okkulten Geheimnisse der Grade auszeichnen und anerkennen wollte. Als Großmeister durfte er das. Tatsächlich hatte sie selbst in ihrem Buch ‚Isis entschleiert‘ darauf hingewiesen, dass sie niemals in eine westliche Loge aufgenommen worden war: „Wir haben keinerlei Versprechen abgelegt, sind keine Verpflichtung eingegangen und keinen Schwur und haben daher keinerlei Vertraulichkeit verletzt.“[2]. Als die Gültigkeit dieser Ehrenurkunde 1878 öffentlich bezweifelt wurde, indem die Legalität des Memphis-Misraim-Ritus insgesamt bezweifelt wurde, nahm sie in derselben amerikanischen Freimaurerzeitschrift entschieden dazu Stellung, indem sie die Anerkennung des ‚Rite of Memphis‘ und ‚Mizraim Rite‘ durch den Grand Orient de France anführte, der seinerseits von der Lodge of England schon 1725 anerkannt worden sei. Bei dieser Gelegenheit fügte sie hinzu: „Meine freimaurerische Erfahrung – wenn man die Mitgliedschaft in mehreren östlichen masonischen und esoterischen Bruderschaften so nennen will – ist auf den Osten beschränkt. Doch hindert mich das keineswegs, in Gemeinschaft mit allen östlichen ‚Maurern‘ alles zu wissen, was mit der westlichen Maurerei zu tun hat.”[3] Sie beruft sich also selbst auf maurerische Erfahrung in östlichen Bruderschaften, durch die sie alles kennengelernt hat, „was mit der westlichen Maurerei zu tun hat“.
[1] „Annahme“ nennt man unter Freimaurern den Vorgang, einen Maurer, der bereits in einer anderen Loge gearbeitet hat, z.B. wegen Umzugs an einen anderen Ort, nicht nur das Besuchsrecht zu erteilen, sondern ihm sämtliche Rechte eines vollgültigen Mitglieds zu erteilen. Die Mitgliedschaft in der ursprünglichen Loge bleibt davon unberührt und diese wird vor dem Vorgang dazu konsultiert oder zumindest davon informiert.
[2] H.P.Blavatsky. Isis entschleiert. Zweiter Band. Theologie. Den Haag, o.J. "We are neither under promise, obligation, nor oath, and therefore violate no confidence.”
[3] The Franklin Register. 28.2.1878: “My Masonic Experience – if you will so term membership in several Eastern Masonic Fraternities and Esoteric Brotherhoods – is confined to the Orient. But nevertheless, this neither prevents my knowing, in common with all Eastern ‘Masons’, everything connected with Western Masonry.”
Der „ausgezeichnete“[1] englische Freimaurer John Yarker, der für die Memphis-Misraim Maurerei (Ancient & Primitive Rite) in England verantwortlich war, anerkannte nach dem Erscheinen der ‚Isis entschleiert‘ im September am 24.November 1877 Helena Blavatzkys okkulten Rang, indem er sie für alle Grade bis zum 32.Grad seiner Memphis-Misraim-Maurerei, und zwar des Adoptions-Ritus, „annahm“. In diesem Ritus durften Frauen, geleitet von der Hand eines Mannes, die freimaurerischen Weihen empfangen. Sie hatte damit das Recht, in Yarkers Memphis-Misraim-Orden an Arbeiten aller Grade des Adoptionsritus einschließlich des 32. teilzunehmen.
[1] Rudolf Steiner. Vortrag Berlin 16.12.1904. Wesen und Aufgabe der Freimaurerei. In G.A. 93, Die Tempellegende und die Goldene Legende. Dornach 1979. S.110.
Es stellt sich die Frage, woher Eckstein diese Kenntnisse und Fähigkeiten hatte. Darauf gibt es mehrere Antworten.
Ecksteins Frau Bertha, geborene Diener – bekannt geworden unter dem Namen Sir Galahad - hat erwähnt, er sei Freimaurer gewesen. Tatsächlich habe ich im „Habsburgischen Hausarchiv“ in Wien einen Beweis dafür gefunden. Rudolf Steiner berichtet ja im ‚Lebensgang‘ davon, dass regelmäßig Freimaurer nach Neudörfl kamen, weil Neudörfl gleich hinter der Leitha im ungarischen Reichsteil lag, wo die Freimaurerei nicht verboten war. Die Loge ‚Humanitas‘ war ganz bewusst im Februar 1872 dort als „Grenzloge“ eingerichtet worden. Andere Wiener Logen ließen sich in Pressburg nieder. Das Kaiserhaus schmuggelte Beobachter in die Logen ein, so dass man über die Mitglieder und das Geschehen genau Bescheid wusste. Handgeschriebene Listen der Mitglieder sind in dem habsburgischen Geheimarchiv in großer Zahl vorhanden. Im Juli 1902 wusste der Geheimdienst von zehn Wiener Logen in Pressburg oder Bratislava mit 899 Mitgliedern. Friedrich Eckstein wird 1898 in der Liste der Freimaurer-Loge „Zukunft“ in Pressburg unter der Nr.18 als ordentliches Mitglied im 3.Grad geführt: „Fritz Eckstein, Fabriksleiter, V., Siebenbrunnengasse 15“.[1] Die Listen sind zwar inoffiziell, aber sehr sorgfältig handschriftlich ausgeführt, für jede Loge einzeln, Jahr für Jahr. Friedrich Eckstein hatte also 1898 den Meistergrad inne. Die Loge gehörte zu der Zeit dem Ungarischen Großorient an. Bedenkt man, dass man den 3.Grad kaum schneller als nach fünf bis sechs Jahren erreichen kann, ist damit zu rechnen, dass Eckstein spätestens 1892-93 in diese oder eine andere Loge eingetreten ist. Ausnahmen sind allerdings möglich: Lessing hat 1771 die ersten drei Grade an einem Tag empfangen.[2] Aber das war eben Lessing.
Neben den Logen, welche die Grade Lehrling, Geselle und Meister bearbeiten, gibt es die sog. Hochgrade, die in Kapiteln arbeiten. Sie setzen den Meistergrad voraus. In den Unterlagen des habsburgischen Hausarchivs habe ich keine Mitgliederlisten von Kapiteln gefunden. Doch kannte sich Eckstein schon spätestens 1893 in den Kapitelgraden aus. Hevesi gibt nämlich eine Begebenheit von Ecksteins Reise in die U.S.A. anläßlich der Weltausstellung 1893 in Chikago wieder.[1] Eckstein erzählte ihm, dass die amerikanischen Eisenbahnschaffner fast ausnahmslos Freimaurer seien, und zwar nicht nur der unteren Grade, sondern der Hochgrade. Er erwähnt die Grade ‚Royal Arch‘ und ‚Knight of Templars‘ sowie eine Anzahl von freimaurerähnlichen Geheimgesellschaften. Eckstein hat nun seine Kenntnisse aus dem Hochgradbereich einmal zu einem sehr weltlichen Zweck genutzt, keineswegs in einer Notlage, sondern um einen Platz im Aussichtswagen zu erhalten. Hevesi lässt ihn erzählen: Wie ich auf die Uhrkette des Schaffners sah, „erblickte ich einen silbernen Triangel, in den ein goldener Kreis gefasst war. Nun war ich geborgen. Sofort stemmte ich die Spitzen beider Daumen gegeneinander. ‚Das ist was anderes‘, sagte er und machte das Gegenzeichen. ‚Also Sie wollen in den Aussichtswagen? Gut….“[2] Das beschriebene Abzeichen wird im französischen Memphis-Misraim-Ritus verwendet.[3] Eckstein war also in der Zeit, in der er am intimsten mit Steiner verkehrte, bereits Freimaurer, mit ziemlicher Sicherheit auch bereits in einem Hochgrad; insbesondere besaß er Kenntnisse der Memphis-Misraim Maurerei.
[1] World Columbian Expedition. Chikago, 1.5.-30.10.1893. Die Erzählung enthält kleinere Ungenauigkeiten, die man darauf zurückführen darf, dass Hevesi mit diesen Graden nicht vertraut war.
[2] Ludwig Hevesi. MacEcks sonderbare Reisen zwischen Constantinopel und San Francisco. Stuttgart 1901. S.104-5.
[3] Auskunft von Christiane Gerges, ehemals Schwarzweller, Weil am Rhein, einer intimen Kennerin der Misraim-Maurerei.
Aus östlicher Quelle ist ihr dies auch vorsichtig bestätigt worden. Der Brahmane und Theosoph Rai B. K. Laheri schreibt in einem Beitrag zu ihrem Gedächtnis: „Wer wirklich etwas von der erhabenen geheimnisvollen Philosophie der Hindu versteht – einschließlich der Hindu selbst – wird sofort erkennen, was sie weiß und wer sie ist. … Einige Worte über den Kern der Dinge, nein, nur ein Wort und das Zeichen am besonderen Platz – und er weiß unmittelbar, wer sie ist.“[1] Der eindeutige Hinweis auf Zeichen und Wort macht deutlich, dass er von einer freimaurereiähnlichen Einrichtung des Ostens spricht.
[1] Rai B. K. Laheri, F.T.S. Die Meinung eines Hindu über H.P.B. In: H.P.Blavatsky. Die Botin des neuen Zeitalters. Von ihren Schülern. Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Konrad Dietzfelbinger. München. 1994. S.131.
Als Eckstein sie 1887 besuchte, war sie daher von ihren Kenntnissen her in der Lage, ihm ihrerseits einen hohen Grad zu erteilen. Ob sie das getan hat, wissen wir nicht, doch ist es auffällig, dass Eckstein 1893 das besagte dreieckige Abzeichen erkannt hat und sachgemäß darauf reagieren konnte. Es wurde wie gesagt im Misraim-Orden gebraucht, dem H.P.B. verbunden war. Möglicherweise hängt damit auch das Rosenkreuz zusammen, das H.P.B. ihm in Ostende um den Hals gelegt hat, denn im Misraim Orden wird bei der Erteilung des 18. Grades ein Rosenkreuz verliehen.
Allerdings muß Eckstein auf H.P.Blavatsky bereits den Eindruck eines Okkultisten gemacht haben. Auch der im Januar 1888 veröffentlichte Aufsatz lässt deutlich werden, dass Eckstein schon im Spätherbst 1887 eine derart umfassende besaß, dass er sie nicht oder nicht allein von Helena Blavatsky haben konnte. Auf eine weitere Quelle für Ecksteins frühe Kenntnisse weist Jules Sauerwein hin, der im Oktober 1921 mit Rudolf Steiner das mutige Interview über Moltkes Erinnerungen zum Kriegsausbruch auf der Titelseite des ‚Matin‘ veröffentlicht hat.[1] Der französische Journalist kam Anfang 1904 nach Wien und lernte dort auf der Länderbank das Bankhandwerk.[2] Im Cafe Imperial lernte er Friedrich Eckstein kennen. Sauerwein erzählt: „Ich war Mitglied verschiedener okkulter Gesellschaften geworden und gestehe, dass ich Grund hatte, daran zu zweifeln, nicht ob es wirklich übersinnliche Welten gäbe, sondern ob der moralische und intellektuelle Wert derer, die sich für berechtigt hielten darüber zu sprechen, dem entsprach. …“
„Glücklicherweise begegnete ich einem Mann, den ich immer noch als einen großen Freund betrachte und als einen höchst mächtigen Geist; er war es, der, indem er von den ungewöhnlichen Arbeiten der Schüler Kernings sprach, zum ersten Mal den Namen Rudolf Steiners erwähnte. Dieser Mann, der jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, noch lebt, war Maxim Eckstein.“ Maxim war ein Spitzname Friedrich Ecksteins, den seine Freunde brauchten.
„Gemeinsam mit den Schülern Kernings und wie ein wahrer Wiener, hatte auch er sein Stamm-Cafe. Jeden Tag, vor und nach dem Essen, konnte man ihn im ‚Imperial‘ sehen, seine besondere ‚Melange‘ trinkend und ruhig mit seinen Freunden plaudernd.“[3]
[1] Siehe dazu Irene Diet. Jules und Alice Sauerwein und der Kampf um die Anthroposophie in Frankreich. 1998. S.159ff.
[2] Dito, S.47.
[3] Jules Sauerwein. Rudolf Steiner: A Glimpse of the Beyond. In: Anthroposophy, Christmas 1929. Vol. 4. London. Übersetzt von R. Speckner. Vgl. auch die in Einzelheiten abweichende Übersetzung von Thomas Meyer in: Das Goetheanum. 67.Jahrgang Nr.9. (28.Februar 1988) S.64.
Was waren diese ungewöhnlichen Arbeiten der Schüler Kernings? Johann Baptist Kerning (1774-1851) betrieb das, was Rudolf Steiner „okkulte Freimaurerei‘ nannte. Das gesungene, gesprochene und geschriebene Wort stand im beruflichen Leben im Zentrum seines Daseins. 1774 geboren, entdeckte der vom Vater zum Theologen bestimmte Jüngling seine Liebe zur Musik und seine Gesangsbegabung, ließ sich als Sänger ausbilden und erhielt 1795 ein Engagement als „Erster Tenor für Liebhaber und Helden“ in der Stuttgarter Oper. Über 50 Jahre diente er der Stuttgarter Oper treu als Sänger, Librettist, Schauspieler und Regisseur.[1]
[1] Einiges über den Sänger Kerning, der mit bürgerlichem Namen J. B. Krebs hieß, erfährt man aus: Reiner Nägele [Hrsg.]. Musik und Musiker am Stuttgarter Hoftheater (1750-1918). Quellen und Studien. Stuttgart 2000. Genaueres erfährt man aus den Personalakten, der umfangreichen Nationale, die im Württembergischen Staatsarchiv in Ludwigsburg aufbewahrt ist.
Auch im inneren Leben stand das Wort im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Kerning hat in vielen Schriften Wege gezeigt, wie man durch Beobachtung und strenge Übung des Sprechens und Sich Bewegens dahin kommen kann, alles Persönliche aus der Sprache zu lösen und in den Worten das Wort sprechen zu lassen. Auch Kerning war Freimaurer, hat ihr aber seinen eigenen Stempel aufgeprägt. Er lernte sie wohl zwischen 1817 und 1820 kennen, musste aber im Verborgenen wirken, weil seit 1784 alle Logen in Württemberg geschlossen waren. Erst als er 1835 vom König erwirkt hatte, dass die Freimaurerei wieder arbeiten durfte, konnte er einige bereits vorher verfasste Schriften veröffentlichen. Seine Briefe an den philosemitischen Freund und Kabbala-Kenner Franz Joseph Molitor (1779-1860) wurden sogar erst posthum veröffentlicht.[1]
[1] J. B. Kerning. Briefe über die königliche Kunst. Lorch. O.J. [ca.1910] – Der Herausgeber Gottfried Buchner und der Verleger Karl Rohm verschweigen den Adressaten der Briefe völlig. Karl Rohm hat Kerning später sogar seine eigenen nationalistischen Ambitionen angedichtet.
Auch im inneren Leben stand das Wort im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Kerning hat in vielen Schriften Wege gezeigt, wie man durch Beobachtung und strenge Übung des Sprechens und Sich Bewegens dahin kommen kann, alles Persönliche aus der Sprache zu lösen und in den Worten das Wort sprechen zu lassen. Auch Kerning war Freimaurer, hat ihr aber seinen eigenen Stempel aufgeprägt. Er lernte sie wohl zwischen 1817 und 1820 kennen, musste aber im Verborgenen wirken, weil seit 1784 alle Logen in Württemberg geschlossen waren. Erst als er 1835 vom König erwirkt hatte, dass die Freimaurerei wieder arbeiten durfte, konnte er einige bereits vorher verfasste Schriften veröffentlichen. Seine Briefe an den philosemitischen Freund und Kabbala-Kenner Franz Joseph Molitor (1779-1860) wurden sogar erst posthum veröffentlicht.[1]
[1] J. B. Kerning. Briefe über die königliche Kunst. Lorch. O.J. [ca.1910] – Der Herausgeber Gottfried Buchner und der Verleger Karl Rohm verschweigen den Adressaten der Briefe völlig. Karl Rohm hat Kerning später sogar seine eigenen nationalistischen Ambitionen angedichtet.
Kernings okkulte Übungen bestanden z.B. darin, ein P zu sprechen. Ein Jahr lang sollte das P geübt werden, bis man erleben konnte, dass man es an jeder Stelle des Leibes sprechen konnte.[1] Eine weitere Stufe sollte sein, gewahrzuwerden, dass die Konsonanten formende Kräfte sind, die am physischen Leibe gestaltend wirken. Eine andere Übung war es, das Stehen in der Senkrechte zu üben. Man sollte bewusst seine senkrechte Stellung erleben, seinen Gang, seine Gesten. Und man sollte gewahren wie dabei Licht aufwärts strömt, Schwere abwärts waltet. Vermutlich hat der von Steiner erwähnte Kreis, in dem die Teilnehmer sich in das Symbol des Spruches „Licht strömt aufwärts – Schwere lastet abwärts“ hineinstellten, aus Schülern Kernings und ihrem Meister bestanden.[2] Möglicherweise ist das auch eine der „akrobatischen magischen Übungen“, von denen Bock etwas abfällig gesprochen hat.
Kerning sah in seinen Übungen, die mit dem, was wir heute Sprachgestaltung und Eurythmie nennen, verwandt sind, die Suche nach dem „verlorenen Wort“. Eckstein hat es daher immer abgelehnt, an Bühnenaufführungen mit Eurythmie oder Sprachgestaltung teilzunehmen: es sei Mysterienverrat, „eine Profanierung tiefer Geheimnisse“[1].
[1] Ernst Müller. Erinnerungen an Friedrich Eckstein. In: Blätter für Anthroposophie. 2.Jg. 1950. S. 418.
Da Kerning bereits 1851 in den ewigen Osten zurückgekehrt war, kann er sein Wissen nicht direkt an den 1861 erst geborenen Eckstein weitergegeben haben. Sauerwein fragte nach: „Eckstein war sehr bescheiden. Er sagte mir, dass er selbst sehr wenig wisse und dass er seinen kleinen Vorrat an Wissen von einem gewissen W… erhalten hatte, einem Schüler von Kerning, dessen Bekanntschaft er in Stuttgart gemacht hatte. Er schloss ab mit den Worten: ‚Rudolf Steiner sollten Sie kennenlernen. Er ist ein intimer Freund von mir. Ich habe ihn gekannt, seit er Hauslehrer in einer Familie hier war. Er ist mehr und besser als ein Theosoph. Ich halte ihn für einen Menschen, der an sich mit erstaunlichen Ergebnissen gearbeitet hat.‘“[1] Nach diesen von Sauerwein überlieferten Worten hat Eckstein in einem Atemzug von seinem Lehrer W….. aus Stuttgart gesprochen und „abgeschlossen“ mit dem Hinweis auf Rudolf Steiner, der an sich „mit erstaunlichen Ergebnissen“ gearbeitet habe. Es liegt nahe, das so zu verstehen, dass Rudolf Steiner mit Kernings Übungen zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen ist. 1906 lernte Jules Sauerwein durch Vermittlung Ecksteins Steiner in Wien kennen.[2]
Sauerwein hat nur den ersten Buchstaben des Namens preisgegeben. Ob er sich nicht mehr erinnert hat oder ob er sich verpflichtet fühlte, den Namen nicht preis zu geben, wissen wir nicht. Ich habe nicht herausfinden können, wer dieser W…. gewesen ist. Wir wissen nicht einmal, wann Eckstein in Stuttgart gewesen ist. Lange hatte ich vermutet, dass es sich um Gustav Widenmann handeln könne, dessen Buch über Wiederverkörperung Rudolf Steiner sehr geschätzt hat. Widenmann war in Kernings Stuttgarter Wilhelms-Loge eingetreten und veröffentlichte seine Schrift zur Wiederverkörperung im Jahr 1851, in dem Kerning ihn zum Meister erhob. Doch als Widenmann 1876 in Ulm starb, war Eckstein 15. Die Frage bleibt vorläufig ohne Antwort.
[1] Jules Sauerwein. Rudolf Steiner: A Glimpse of the Beyond. In: Anthroposophy, Christmas 1929. Vol.4. London. Übersetzt von R.Speckner. Vgl. auch die in Einzelheiten abweichende Übersetzung von Thomas Meyer in: Das Goetheanum. 67.Jahrgang Nr.9. (28.Februar 1988) S.64.
[2] Im Jahre 1906 ist aus anderen Quellen kein Aufenthalt Rudolf Steiners in Wien bekannt. Deshalb wird oft angenommen, es müsse sich um einen Irrtum handeln. Die Begegnung habe am 22.Februar 1907 stattgefunden. Unsere Kenntnisse über Rudolf Steiners Wirken im Jahre 1906 sind aber lückenhaft. Ich vertraue daher auf die Aussage Sauerweins, die schließlich auch als Quelle erster Hand anzusehen ist.
Eckstein hat auch mit einem anderen Geisteslehrer Kontakt gehabt, der ihn auf Kerning hingewiesen haben dürfte. Es handelt sich um den zunächst in Kempten ansässigen Weber Alois Mailänder (1844-1905).[1] Um ihn hatte sich eine kleine Gruppe von Anhängern geschart. Sie waren der Überzeugung, dass durch Mailänder von Zeit zu Zeit Johannes selbst spräche. Mailänder konnte den Zustand bewusst herbeiführen. Er wurde ‚Bruder Johannes‘ genannt. Da er nicht schreiben konnte, musste jemand seine Briefe schreiben, oft sein Schwager Nikolaus Gabele. Ein großer Teil der Prominenz der Theosophischen Gesellschaft pilgerte nach Kempten und wurde Schüler dieses christlichen Sehers. Auch Helena Blavatsky hatte gesagt, dass es heute in Deutschland nur einen Eingeweihten gebe und der lebe in Kempten. Er gehöre aber nicht zu ihrer Schule.
[1] Emil Bock. Rudolf Steiner. Studien zu seinem Lebensgang und Lebenswerk. Stuttgart 1961. S.180-186.
Bock schreibt: „Friedrich Eckstein ist oft bei ihm gewesen.“[1] Zu Mailänders langjährigen oder zeitweiligen Schülern gehörten ferner Wilhelm Hübbe Schleiden (München), Franz Gustav Gebhard (Elberfeld), Bernhard Hubo (Hamburg), Franz Hartmann (Wien/Kempten), Gustav Meyrink (Prag), Günter Karl Wagner (Hannover), Paula Stryczek (Hannover), Carl Graf zu Leiningen-Billigheim (Wien).
Hübbe Schleiden notierte 1885 nach einem Besuch in Kempten: „Kerning, Schlüssel zur Geisterwelt. Stuttgart 1855. Scheible 12o. Jane Leade. Wiedergeburt des Menschen, bei Gabele leihweis zu erbitten.“ Etwas später heißt es: „J.B.Kerning, ‚Schlüssel zur Geisterwelt‘. Johannes hält für das Bessere: J.B.Kerning ‚Wege zur Unsterblichkeit‘.“[2] Alois Mailänder benutzte also die Schriften Kernings, um den Anfängern grundlegende Gedanken und Übungen nahezubringen. Die Lehren des Bruders Johannes charakterisiert Emil Bock so: „In dem Kreise um Alois Mailänder wurde eine ganze Weltanschauung sozusagen in Zeichen ausgebildet. Sie nannten das die ‚Formenlehre‘. Alle Buchstaben, Pflanzen, Tiere hatten einen bestimmten Bildwert. So etwas wie eine primitive Ableitung von Jakob Böhmes Theosophie wurde da gepflegt.“[3]
Alois Mailänder war nicht der „W….“ aus Stuttgart, der Eckstein an den okkulten Freimaurer Kerning herangeführt hat. Aber auch Mailänder und seine christliche Esoterik schätzten Kerning. So fanden sich nach und nach in Ecksteins Umfeld immer mehr Schüler und Verehrer Kernings ein und 1904 gab es in Wien eine Gruppe von Kerning-Schülern um Eckstein herum. Karl von Leiningen Billigheim, der Sekretär der Wiener Loge der Theosophical Society (Adyar), war sogar ein direkter Schüler von Kerning gewesen. Er hatte 1886 Hübbe Schleiden auf dessen Wunsch hin in mehreren Briefen über Kerning berichtet. Darin schrieb er u.a. „…die Kunst besteht in der Geschicklichkeit, Zahlen und Buchstaben zu erkennen und aufzuzeichnen; alles andere ist ‚Übung‘, so verhält es sich mit dem lebendigen ‚Wort‘ Gottes… . Die Kunst besteht in der Geschicklichkeit des ‚Athems‘ Buchstaben, Sylben, Worte, Sätze und Begriffe zu erkennen, zu fühlen und dann so lange in der Übung zu belassen, bis die innere Stimme a se spricht, ‚spricht nicht von selbst, sondern getrieben von dem Heiligen Geist‘.“[1]
[1] Karl Graf zu Leiningen Billigheim an W.Hübbe Schleiden. Brief vom 23.5.1886. SUB Göttingen. Cod. W. Hübbe Schleiden. Nr.194 A.
Friedrich Eckstein hat durch seine Zugehörigkeit zu verschiedenen Logen spätestens 1893 ein umfangreiches Wissen von rituellem Handeln und von den damit verbundenen Symbolen gehabt. Wie sich in dem Gespräch mit H.P.B. und in seinem Aufsatz zeigte, kannte er 1887-88 die rosenkreuzerische Weltsicht aus den Quellen. Seine Beziehung zur okkulten Maurerei Kernings und die damit verbundenen Übungen haben ihn zu einem praktischen Okkultisten gemacht. Auch der zweite Mann in der Wiener Theosophischen Loge pflegte Kernings praktischen Okkultismus.
Rudolf Steiners freimaurerische Riten sind von einem versierten Kenner als „in der Art Kernings“ charakterisiert worden. Als Steiner am 21.2.1907 seinen ersten Vortrag in Prag gehalten hat, kam es zu einer ausführlichen Aussprache. Auf Fragen hin äußerte er sich „voll des Lobes für Fabre d’Olivet, empfahl die tschechische Übersetzung seines Buches über die Hebräische Sprache.“ Er warnte vor Eliphas Lévi und er äußerte Bedenken gegenüber dem Wirken von Papus. Der tschechische Freimaurer Milos Maixner hat sofort an seinen maurerischen Vorgesetzten Papus (Gérard Encausse) geschrieben, der ein Jahr später Großmeister des internationalen Memphis-Misraim-Ordens werden sollte, also dieselbe Stellung im gesamten Memphis-Misraim innehatte, die Steiner in Deutschland innehatte. Maixner hat Papus von den Vorgängen in Prag erzählt und Steiner porträtiert. Der Brief ist von einer beachtlichen und Sympathie weckenden Sachlichkeit gekennzeichnet. „Die Theosophie nach der Auslegung von Dr. Steiner unterschied sich so sehr von der althergebrachten Theosophie, daß von dem alten theosophischen Gebäude lediglich ein paar Worte in Sanskrit übrigblieben, die aber in völlig und radikal neuem Sinne verwendet wurden. Es war wahrhaftig Okkultismus – westlicher Okkultismus, aber nach der Art des alten Maurers Kerning erarbeitet, oder, wenn Sie es vorziehen, nach Art der rosenkreuzerischen Maurerei.“ Später wiederholt der tschechische Theosoph und Freimaurer das mit folgenden Worten: „Man stellt ihn vor als Repräsentanten eines der höchsten Einweihungszentren in Europa; er repräsentiert den Initiationsmeister des Maurerheiligtums von Memphis und Misraim in Berlin und er gibt sich bereitwillig als Rosenkreuzer zu erahnen, dem alten, ursprünglichen Rosen+Kreuz zugehörig. Seine Lehre, so wie er sie gestern darlegte, ist wohl ein Olivetismus – oder besser Pythagoräismus, den theosophischen Gegebenheiten angepasst, das heißt mit Sanskritbegriffen ausgeführt und in Verbindung mit einer Praxis nach Art von Kerning.“[1]
[1] Milos Maixner an Papus (Gérard d’Encausse). Prag 21.2.1907. Bibliothèque Municipale de Lyon, Fonds Papus. MS. 5486-3, correspondence Autriche-Hongrie. Ich danke Markus Osterrieder (München) für die Mitteilung und Übersetzung dieses bedeutenden Briefes von ganzem Herzen!
Damit stellt sich die Frage neu, in welchem Sinne Eckstein Rudolf Steiners Lehrer war. Die Bewegungs- und Sprachübungen Kernings, die in der Wiener Gruppe um Eckstein praktiziert wurden, hängen innerlich mit den Grundübungen der Eurythmie und der Sprachgestaltung zusammen. Die der Freimaurerei ähnlichen Riten Steiners wurden von sachkundigen Augenzeugen als „nach Art von Kerning“ charakterisiert. Eckstein war von Helena Blavatsky als einer Repräsentantin der Memphis-Misraim Maurerei in einem hohen Grade anerkannt worden, andererseits betrieb er nach Sauerwein Freimaurerei „nach Art von Kerning“. Beides trifft auch für Rudolf Steiner zu. Reuss anerkannte Steiner in dem 1906 geschlossenen Vertrag als Bruder von Memphis und Misraim im 30.Grad; und auch Steiner hat Maurerei „nach Art von Kerning“ getrieben. Sollte Friedrich Eckstein Rudolf Steiner doch auch praktisch eingeweiht haben? Ecksteins eigene Worte scheinen diese Vermutung zu bestätigen:
„Ich hatte ihn früher des öfteren schon in der Gesellschaft des bekannten Goethe-Forschers Prof. Karl Julius Schröer getroffen und wir hatten manche Auseinandersetzung über Goethes Symbolik gehabt. Mittlerweile war ihm irgendwie zu Ohren gekommen, dass ich mit der damals viel besprochenen Madame Blavatsky und den führenden Mitgliedern der ‚Theosophischen Gesellschaft’ in Madras in Verkehr war.
Dr. Steiner erklärte mir, wie sehr ihm daran liege, über diese Dinge Näheres zu erfahren und bat mich, ihn in die ‚Geheimlehre’ einzuweihen. Damit begann mein regelmäßiger Verkehr mit ihm, der viele Jahre währte und ihn schließlich, nach langen Wandlungen und Zwischenfällen, allmählich zur Ausgestaltung seines eigenen ‚anthroposophischen’ Systems hinführte.“[1]
[1] Friedrich Eckstein. Alte unnennbare Tage! Erinnerungen aus siebzig Lehr- und Wanderjahren. Wien – Leipzig – Zürich 1936. S.131.
Friedrich Ecksteins Bericht ergänzt die Äußerungen Rudolf Steiners. Von zwei Phasen ihrer Lebens-begegnung spricht Eckstein. In der ersten begegneten sie einander mehr oder weniger zufällig im Kreis um Karl Julius Schröer. In dieser Zeit hatten sie „manche Auseinandersetzung“ um Goethes Symbolik. Das änderte sich, wie Eckstein meint, als Rudolf Steiner von seinem Umgang mit H.P. Blavatzky und anderen theosophischen Koryphäen hörte. Das mag der Anlass gewesen sein, aber nicht der Grund. Rudolf Steiner hat ihn jedenfalls nicht gebeten, ihm etwas aus dem persönlichen Umgang mit Frau Blavatzki zu erzählen, sondern er erklärte ihm, wie sehr ihm daran liege, über „diese Dinge“ Näheres zu erfahren. Und später, auf der Generalversammlung 1905, erzählte Rudolf Steiner zudem: „Vor H.P. Blavatzky stand ich noch vor 15 Jahren“ – also 1890 – „wie vor einem Rätsel, aber durch Frau Besant habe ich auch den Weg zu H.P. Blavatzky gefunden.“[1] Durch Friedrich Eckstein eröffnete sich ihm also nicht das Verständnis für H.P. Blavatzky als Persönlichkeit, sondern es ging um die Inhalte der Geheimlehre.
[1] Mitteilungen (Scholl). No.1. November 1905, S.2.
Wenn Friedrich Eckstein das Wort „einweihen“ im Zusammenhang mit Rudolf Steiner benutzt, muss man das Wort dann nicht ernst nehmen? Er war doch ein intimer Kenner der alten Weisheit. In den freimaurerischen Zusammenhängen, in denen Eckstein seinen Okkultismus ausübte, bedeutete ‚einweihen‘: jemanden in einem Ritual durch verschiedene erschütternde Situationen führen, um eine Verwandlung der Seele zu bewirken, der sich die geistige Welt entgegen neigen konnte.
Und nach Steiners Bitte begann etwas, was Eckstein als „regelmäßigen Verkehr“ bezeichnet, „der viele Jahre währte“. Was für Regeln mögen es gewesen sein, nach denen sich dieser „regelmäßige“ Verkehr abspielte? War es eine zeitliche Regel? Ein „jour fixe“? Oder ein Ritual, in dem der Verkehr weitgehend nach Regeln verlief?
In den nun folgenden Gesprächen ging es auch nicht um die Goethesche Symbolik. Denn Eckstein unterscheidet in seiner Darstellung zwei Phasen der geistigen Begegnung mit Rudolf Steiner: eine erste, in der er Steiner im Kreis um Karl Julius Schröer begegnet war, und in der er mit ihm über Goethes Symbolik im Gespräch war. In der zweiten bat Steiner Eckstein, „ihn in die ‚Geheimlehre’ einzuweihen“.
Und schließlich sagt Eckstein, dass ihn [Steiner] dieser regelmäßige Verkehr allmählich zur Ausgestaltung seines anthroposophischen Systems hinführte. Eckstein sagt nicht, dass Rudolf Steiner die Anthroposophie von ihm habe, sondern dass der regelmäßige Verkehr Rudolf Steiner dahin geführt habe, sein ‚System‘ auszugestalten. Das heißt Steiner brauchte den Verkehr mit ihm, aber Steiner bildete dennoch sein eigenes System aus. Eckstein schreibt dem regelmäßigen Verkehr sogar zu, dass dieser (nicht Friedrich Eckstein!) Steiner dazu „geführt“ habe, sein eigenes System auszugestalten. Wenn es nicht Friedrich Eckstein, sondern der regelmäßige Verkehr war, der Steiner zu seinem System führte, dann muss dieser besondere Eigenheiten gehabt haben, die geeignet waren, eine Initiation herbeizuführen. Mir scheint, dass Eckstein auch hier vorsichtig auf ein Ritual hindeutet.
Man könnte meine Auslegung der Worte Ecksteins für überinterpretiert oder gar spitzfindig halten. Dabei muss man aber bedenken, dass Eckstein gewohnt war, sich sprachlich so auszudrücken, dass dem nichteingeweihten Leser nicht auffiel, dass dem eingeweihten Leser mit seinen Worten etwas mitgeteilt wurde.
Verstehen wir Eckstein richtig, wird auch die Darstellung Rudolf Steiners in seinem ‚Lebensgang‘ auf eine neue Weise verständlich, in der er ja Friedrich Eckstein einen ‚intimen Kenner‘ und einen ‚ausgezeichneten Kenner‘ der Alten Weisheit nennt. Eckstein habe sich energisch dagegen gewehrt, dass Rudolf Steiner Teile der Alten Weisheit veröffentlichen wollte. Es muss demnach ein oder mehrere Gespräche zwischen den beiden darüber gegeben haben. Auch andere ‚Kenner der Alten Weisheit‘ haben sich daran beteiligt und standen überwiegend auf Ecksteins Seite. „Friedrich Eckstein vertrat nun energisch die Meinung, man dürfe die esoterische Geisterkenntnis nicht wie das gewöhnliche Wissen öffentlich verbreiten. Er stand mit dieser Meinung nicht allein; sie war und ist die fast aller Kenner der ‚alten Weisheit’. ….“[1] In welchen Kreisen führte Rudolf Steiner in den Neunziger Jahren solche Gespräche? In seinem Lebensgang schreibt Rudolf Steiner ausdrücklich: Ich begegnete Eckstein auch noch in anderen Kreisen.[2] Und er beginnt seine Darstellung der Begegnung mit Eckstein damit, dass er nur ihn nennt, dass es aber mehrere „Persönlichkeiten, die mir mit einer solchen Forderung bezüglich der Geist-Erkenntnis entgegentraten“[3], gab.
Rudolf Steiner betont, dass Eckstein ihm nicht nur mit der Forderung entgegentrat, sondern dass Eckstein „energisch“ die Meinung vertrat, Geisterkenntnis dürfe nicht öffentlich vorgebracht werden. Dann erzählt er, wie Friedrich Eckstein ihm gegenüber argumentiert hat:
„Friedrich Eckstein wollte, dass man als ‚Eingeweihter in altes Wissen’ das, was man öffentlich vertritt, einkleidet mit der Kraft, die aus dieser ‚Einweihung’ kommt, daß man aber dieses Exoterische streng scheide von dem Esoterischen, das im engsten Kreise bleiben solle, der es voll zu würdigen versteht.“
Man braucht diese Worte nur in direkte Rede umzuwandeln und dabei im Besonderen die zitierten Worte ‚Eingeweihter in altes Wissen’ mit zu verwenden, um gewahr zu werden, dass Eckstein ihn an seine Pflichten als ‚Eingeweihter in altes Wissen’ energisch erinnert hat: „Rudolf, als ‚Eingeweihter in Altes Wissen‘ kleidet man, was man öffentlich ausspricht ein. Das Exoterische scheidet man streng von dem Esoterischen, das in dem engsten Kreise bleiben muss, der es zu würdigen weiß.“ Wenn aber Friedrich Eckstein ihn als ‚Eingeweihten in altes Wissen’ ansehen konnte, was gab ihm die Möglichkeit dazu? Und was gab ihm das Recht, Steiner „energisch“ die Pflichten eines solchen ‚Eingeweihten’ vorzuhalten?
Er habe sich entschlossen, mit dieser Tradition zu brechen, schreibt Rudolf Steiner weiter. Kann man eine Tradition brechen, in der man gar nicht steht? Steiner scheint das zu bestätigen. Er konnte dies tun, weil er „niemand gegenüber eine Verpflichtung zur Geheimhaltung hatte“. Der Grund dafür, dass er nicht verpflichtet war, kann aber nicht darin gelegen haben, dass er von niemandem etwas über das ‚alte Wissen’ erfahren hatte, denn dass er darüber mit Friedrich Eckstein zumindest viele Gespräche gehabt hat, geht aus dem vorigen hervor. Wie hätte Rudolf Steiner ihn sonst als intimen und ausgezeichneten Kenner charakterisieren können? Der Grund, der ihn ohne Verpflichtung ließ, war, dass Steiner nichts vorbrachte, was er nicht selbst erforscht hatte. Er stützte sich auf nichts Angenommenes, nur von anderen Verbürgtes: „... ich nahm von ‚alter Weisheit’ nichts an; was ich an Geisterkenntnis habe, ist durchaus Ergebnis meiner eigenen Forschung.“ Rudolf Steiner stützte sich auf niemanden, den er als Gewährsmann hätte nennen müssen und der ihm Vertrauensbruch hätte vorwerfen können. Er brachte keine Annahmen vor. Zwar hatte er ein mitgeteiltes Wissen, aber er hatte das Mitgeteilte nicht nur verstanden sondern erkannt.
„Nur, wenn sich mir eine Erkenntnis ergeben hat, so ziehe ich dasjenige heran, was von irgendeiner Seite an ‚Altem Wissen’ schon veröffentlicht ist, um die Übereinstimmung und zugleich den Fortschritt zu zeigen, der der gegenwärtigen Forschung möglich ist.“[1]
[1] Rudolf Steiner. Mein Lebensgang. Gesamtausgabe Bd. 28. Dornach 1962. S. 390
Mir scheint, dass das Verhältnis zwischen Friedrich Eckstein und Rudolf Steiner neu bedacht und gewichtet werden muss.
Man kann nur sicher sagen, dass etwas Veröffentlichtes aus dem ‚alten Wissen’ stammt, wenn man dieses alte Wissen kennt! Rudolf Steiner kannte also das alte Wissen, hat es aber nicht in unrechtmäßiger Weise benutzt. Öffentlich hat er nur vertreten, was er aus eigener Erkenntnis gewonnen hatte.