Helena Blavatski in Deutschland 1884-1887

Helena Blavatsky. Gemälde von Hermann Schmiechen

Helena Blavatski

Ich arbeite zur Zeit an einer Veröffentlichung über "Helena Blavatsky in Deutschland". Es gibt über Ihre Zeit in Deutschland kein zusammen fassendes Buch. Doch geben Erinnerungen, unveröffentlichte Briefe und Zeitungsberichte ein umfassendes, differenziertes Bild. Eine besondere Rolle spielen dabei die Nachlässe von Dr. Wilhelm Hübbe Schleiden und von Prof. Gabriel von Max. Meine Recherchen dauern schon mehrere Jahre an. Das Buch ist schon weit gediehen.

 

Die Beschäftigung mit Helena Blavatski hat mich dazu geführt, diese Persönlichkeit sehr zu schätzen, wenn ich auch ihre Art der Begegnung mit der übersinnlichen Welt für etwas halte, dem man heute nicht nachstreben kann. Was sie geleistet hat, hat sie am Ende einer Zeit geleistet, der alles geistige Erleben als Illusion galt. Die Wege, die heute zum bewußten Erleben der geistigen Welt gesucht werden können, sind solche, die der freien Individualität gerecht werden.

 

Doch überzeugt mich ihre lautere Persönlichkeit und ihre gelebte Brüderlichkeit ebenso wie ihr selbstloser Einsatz für die Verbreitung spirituellen Gedankenguts in der Menschheit. Sie mag in der Wahl ihrer Mittel nicht immer glücklich gewesen sein, doch war sie in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts und weit ins 20.Jahrhundert hinein vielen Menschen eine wegweisende Leuchte.

 

Darüber hinaus war H.P.B. - wie sie von ihren Bewunderern genannt wird - ein kosmopolitischer Mensch, der ebenso lange in Nordamerika für die Menschheit gewirkt hat wie in Nordafrika, in Indien und Europa.

 

Mich interessiert ihr Verhältnis zu Mitteleuropa, und insbesondere, was Helena Blavatski in den Jahren getan und erlebt hat, die sie vom 16.August 1884 bis zum  1.Mai 1887 im deutschen Kulturgebiet zugebracht hat. Ihr indischer Meister hat sie nach Deutschland geschickt, als sie an die Niederschrift der geistigen Erlebnisse gehen sollte, die zur Secret Doctrine geworden sind. Hier erhielt sie die Nachricht, dass sie aus der Bindung an ihre indischen Meister freigelassen worden sei: "Ich bin frei !".

 

Welche Rolle hat ihre Begegnung mit der deutschen Kultur durch ihren Vater, der aus dem mecklenburgischen Adel stammte, und durch die deutschen Siedler an der Wolga, in deren Nähe sie ihre Kindheit zubrachte, für sie gespielt? Wann und in welcher Weise ist sie dem mitteleuropäischen Rosenkreuzertum begegnet?

 

Und schliesslich: In welchem Sinne hat Rudolf Steiner an Blavatskis Impulse und Intentionen angeknüpft? Seine Einrichtung der E.S., der F.M. und Mystica Aeterna weisen z.B. beachtliche Parallelen zu Blavatskis E.S. und F.M.-Graden auf. Was bedeutete es, dass Rudolf Steiner diese seine Einrichtungen 1913 in Michaeldienst umbenennen konnte?

 

Die theosophischen Zwillinge - Blavatski und Olcott - hatten vor, die junge Theosophische Bewegung der alten Freimaurerei vorzuspannen. H.P.B. hatte von John Yarker den höchsten Grad des Memphis-Misraim-Ritus verliehen bekommen, den eine Frau damals "adoptiv" bekleiden konnte. Ich nehme daher an, dass sie 1877-78 die Theosophie mit dem Memphis-Misraim-Ritus verbinden wollte. Die deutschen Theosophen erhielten noch 1884 bei ihrer Aufnahme am Starnberger See von Olcott "Zeichen, Griff und Wort" vermittelt. Wie dachten sich Olcott und Blavatski das Verhältnis von Theosophie und Freimaurerei?

 

Kurz nach der Gründung der Elberfelder Sozietät wurde durch schottische Jesuiten mit Hilfe zweier europäischer Hausangestellten H.P.B.'s in Adyar ein Skandal entfesselt, indem die beiden Angestellten bekannten, dass sie an Betrügereien beteiligt gewesen seien, die H.P.B. ihnen aufgetragen habe. Um ihnen dies Geständnis zu ermöglichen oder zu erleichtern hatten sie Geld von den Missionaren erhalten. Die Nachricht von diesen 'Enthüllungen', Blavatskis Schweigen zu den Vorwürfen und die Interpretation dieses Schweigens als Schuldeingeständnis machten der 'Theosophischen Sozietät Germania' den Garaus, die englische gewann dadurch viele Mitglieder. - War das ein Zufall?

 

Im folgenden fasse ich einiges zu der Elberfelder Sozietät zusammen, was im Buch ausführlicher beschrieben worden ist.

Im 27.Juli 1884 hat Henry Steel Olcott mit sieben Theosophen in Elberfeld die erste Loge der Theosophical Society (Adyar) in Deutschland gegründet. Die Gründung wurde hauptsächlich von Mitgliedern der Familie Gebhard getragen. Mary Gebhard war eine gebürtige Irin und hatte ihren Mann, den Konsul Gebhard in New York kennen gelernt. Sie war eine persönliche Schülerin des französischen Okkultisten Eliphas Levy, den sie nach dem deutsch-französischen Krieg 1870-71 einige Zeit in ihrem Haus in Elberfeld betreute, da er sehr unter der Belagerung von Paris gelitten hatte. Konsul Gebhard war ein Textilunternehmer in Elberfeld und Krefeld. Später gehörte er dem Gründerkreis der 'Deutschen Bank' an. Seine Söhne und deren Frauen waren ebenfalls mit Eifer dabei. Franz Gebhard, einer der Söhne, wurde zum Sekretär gewählt.

Wilhelm Hübbe Schleiden war schon 1884 dabei. Olcott nahm ihn am Tag der Gründungsversammlung morgens in die Theosophical Society auf, abends wurde er Präsident der Theosophischen Sozietät 'Germania' - eine steile Karriere. Er kannte damals die Theosophie erst seit wenigen Monaten Baron Oskar von Hoffmann hatte ihn eingeführt. Wilhelm Hübbe Schleiden war also nicht der Gründer der Theosophischen Sozietät Germania.

Die Elberfelder "Theosophische Sozietät Germania" 1884

Villa Gebhard. Elberfeld. Platzhoffstraße 12. Heute ein dreistöckiges Mietshaus mit vielen Wohnungen, war das Haus damals der Wohnsitz der Fabrikantenfamilie. Hier wurde 1884 die erste theosophische Sozietät im deutschsprachigen Raum gegründet.

    Helena Blavatsky kam erst 21 Tage nach der Gründungsversammlung in Elberfeld an. Die Verzögerung war kein Zufall. Olcott hatte von der Ansicht der Meister über Deutschland und von seiner gesagt, "daß die Adepten die Zeit noch nicht für gekommen erachten, er aber meint, es lasse sich schon jetzt Großes in Deutschland vollbringen". Gustav Gebhard hatte auf der Rückreise von Nordamerika Madame Blavatski zur Erholung nach Elberfeld eingeladen. Sie brachte eine Reihe von englischen und indischen Theosophen mit und in dieser internationalen Atmosphäre wuchs der Gründerkreis in den kommenden Wochen zu einer Gemeinschaft  zusammen.

    Die Seele des Elberfelder Unternehmens war die okkult begabte und geschulte Mary Gebhard. Die wirtschaftlichen Grundlagen schuf der Konsul Gebhard. Die rechtliche Form besorgte der promovierte Jurist Hübbe Schleiden. Und für eine reibungslose Verwaltung sorgte Franz Gebhard.

Mary Gebhard. Gemälde von Hermann Schmiechen.

Mary Gebhard

    Mary Gebhard, 1832 in Dublin als Engländerin Mary L'Estrange geboren, war 1883 spätestens im April in die London Lodge der Theosophical Society eingetreten. Alfred Percy Sinnett, der Verfasser

zahlreicher theosophischer Werke der Anfangsphase der Theosophical Society, berichtet, sie habe 1883 von seiner Rückkehr aus Indien gehört und sei im Frühjahr nach London gekommen, um ihn kennen zu lernen. Bei diesem Aufenthalt in London sei sie Mitglied der Theosophical Society geworden. Nach der später erstellten Liste der Mitglieder der Societät Germania war das am 15. Mai 1883. Möglicherweise war sie aber bereits vorher Mitglied in New York. Sinnett beschreibt auch die eigentümlichen Umstände, unter denen sie Zutritt zur Theosophical Society in London erhielt:

   Colonel Olcott hatte für die neu eintretenden Mitglieder eine feierliche Zeremonie ausgebildet, die diese über sich ergehen lassen mussten. Sie lernten bestimmt geformte Worte, die man verwenden sollte, um einen Unbekannten, von dem man nicht wusste, ob er Theosoph sei, anzusprechen. Dieser hatte dann, wenn er ein Mitglied war, in genau bestimmter Weise zu antworten und es musste schließlich „ein ungeschickt wirkender Handgriff“ gelernt werden. Die Parallelen zu den von Sinnett als rein äußerlich aufgefassten Gepflogenheiten der Freimaurer sind unübersehbar. Olcott übertrug also freimaurerische Gepflogenheiten auf die Theosophical Society – ohne die Inhalte mit zu übertragen. Immerhin muss er um diese Gepflogenheiten gewusst, das heißt einer freimaurerischen Loge angehört haben.

    Sinnett schreibt nun: „Ich mochte diese affektierte Geheimnistuerei nicht, da wir tatsächlich nichts Okkultes besaßen, und verstand es kurz darauf so einzurichten, dass das alles abgeschafft wurde, aber es war derzeit noch im Gebrauch. Und ich erinnere noch wie bei einem der Treffen eines der ursprünglichen Mitglieder, das mehr oder weniger alles arrangierte, zu mir kam und sagte, eine seltsame Dame stände vor der Tür, die behaupte, sie sei Theosophin, aber sie kenne die Zeichen nicht! Solle sie Zutritt haben? Ich sagte ja, und die Dame, die dann hereingelassen wurde, war niemand anders als Mrs. Gebhard, die ich damals zum ersten mal sah. Sie war tatsächlich von Deutschland herüber gekommen mit dem ausgesprochenen Ziel, mit der neuen Bewegung in London in Berührung zu kommen (und uns persönlich kennenzulernen) und spielte später eine wichtige Rolle in der Bewegung. Hätte ich die Initiations-Zeichen nicht ohnehin gering geschätzt, wäre ihr wohl der Zutritt zu unserem kleinen Treffen verweigert worden. Wäre zudem ihr Temperament weniger gleichmütig gewesen, hätte sie durchaus über das ganze Unternehmen entrüstet sein können, statt, wie es geschah, eine seiner nützlichsten Verbündeten zu werden.“ Sinnett muss sie dann zu sich nach Haus eingeladen haben, ob als Gast für einige Tage oder nur zu einem kurzen Besuch am Nachmittag bleibe dahingestellt.

   Während dieses Aufenthaltes in London, erzählt Sinnett, habe Mary Gebhard ihn und seine Gattin eingeladen, sie im Spätsommer 1883 in Elberfeld zu besuchen. Mary Gebhard verband damit die Hoffnung, ihren Mann und ihre Kinder für die Theosophie zu interessieren. Sinnet, der im Sommer eine „continental tour“ zu machen pflegte, entschloss sich nicht ohne Sorge zu einem Kurzbesuch in Elberfeld, gewissermaßen auf der Durchreise. „Wie sich herausstellte, genossen wir den Besuch außerordentlich, fanden Herrn Gebhard und seine erwachsenen Söhne höflich und annehmbar, bald an unseren theosophischen Gesprächen interessiert, und obwohl vor unserem Besuch dort ... Frau Gebhards Interesse am Okkultismus eher ein Gegenstand humorvollen Scherzens durch ihren Mann und die Söhne war, wurde die ganze Familie unter unserem Einfluß nach und nach zu begeisterten Theosophen. Unser versuchsweiser Abstecher nach Elberfeld ... eröffnete eine Reihe von weiteren Besuchen in späteren Jahren.“

Die Gründungsversammlung in Elberfeld

      Die Gründungsversammlung in Wuppertal orientierte sich am Stand der Sterne. Sie begann am 27.Juli 1884, abends gegen 19.06 h. Die Zeit macht deutlich, dass ein bestimmter Sternenaugenblick gewünscht war. Anwesend waren: der amerikanische Rechtsanwalt Henry Steel Olcott, Madame Haemmerle aus dem damals russischen Odessa, Dr.Elliot Coues aus Washington. Das gleichzeitige Eintreffen der drei Persönlichkeiten aus sehr verschiedenen Weltregionen setzt langfristige voraufgegangene Verabredungen voraus. Da die Gäste in zwei Häusern der Familie Gebhard einquartiert wurden, muß in die Vorgespräche auch Mary Gebhard involviert gewesen sein. Sie war auch bei der Gründungsversammlung anwesend wie auch ihr Sohn Franz Gebhard, dessen Frau Aline und ihr zweiter Sohn Rudolf Gebhard. Hinzu kam Dr.Wilhelm Hübbe Schleiden. Diese sieben Persönlichkeiten - Marys Gemahl Gustav Gebhard kam einige Tage später hinzu - gründeten mit der Mindestzahl die Sozietät Germania.  Es scheint mir symptomatisch, dass eine Persönlichkeit aus den U.S.A. und eine aus Russland Pate standen. Das Protokoll der Gründungsversammlung lautet:

 

Theosophische Societät Germania.

Constituierende Versammlung.

 

Von Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft (Centralsitz Adyar, Madras) wurde am 27. Juli 1884 zu Elberfeld in Rhein-Preussen eine Versammlung in geschlossenem Kreise gehalten. Es hatten sich abgesandte von Deutschland, Russland und Amerika eingefunden. Die Versammlung wurde um 7 Uhr Abends eröffnet. Der Präsident und Begründer der Gesellschaft Colonel Henry S. Olcott übernahm den Vorsitz: Frau Haemmerlé, Mitglied der Zweig-Gesellschaft in Odessa, versah das Amt des Schriftführers.

   Nach einleitender Ansprache des Vorsitzenden wurde die gegenwärtige Entwicklungs-Stufe der deutsch redenden Länder in philosophischer und religiöser Hinsicht erörtert. Man war der Ansicht, dass die Zeit gekommen sein dürfte, um die esoterische Philosophie des Orients in die höher entwickelten Kreise Deutschlands und Österreichs einzuführen. Auch wurde es für wünschenswert erachtet, zunächst die über diese Gebiete hin zerstreut lebenden Mitglieder der Universellen Gesellschaft zu einer Zweig-Organisation zusammen zu fassen.

   Frau Consul Gebhart stellte, unterstützt durch Dr. Hübbe Schleiden (Hamburg) und Prof. Elliott Coues M. D. Ph. D. (Washington, Ver. St. von America), den Antrag:

   „Behufs Einführung und Leitung der theosophischen Bewegung in deutsch redenden Ländern eine Zweig-Gesellschaft zu begründen.“

   Dieser Antrag wurde einstimmig angenommen. Auf Antrag der Herren Franz und Rudolf Gebhard wurde ferner beschlossen, für diese Zweig-Gesellschaft interimistisch die Statuten der Universellen Gesellschaft anzunehmen: jedoch wurde auf Vorschlag des Vorsitzenden sofort der Entwurf eigener Statuten der deutschen Zweig-Gesellschaft in Aussicht genommen und zu diesem Zwecke eine Commission, bestehend aus den Herren Dr. Hübbe-Schleiden, Franz und Rudolf Gebhard und Frau Consul Gebhard, ernannt.

   Nach eingehender Erwägung wurde als Name dieser Zweig-Gesellschaft „Theosophische Societät Germania“ angenommen. Als Sitz der Gesellschaft wurde Elberfeld (Platzhoffstraße 12) gewählt. Zuschriften sind dorthin an den Secretair der Gesellschaft zu richten.

   Der Vorstand der Gesellschaft wurde einstimmig constituirt wie folgt: Präsidium: Dr. Hübbe Schleiden (Hamburg), Vice-Präsidium: -------- und Frau Consul Gebhard, Schatzamt: Consul Gebhard (Elberfeld), Councillor der Universellen Gesellschaft, Secretariat: Herr Franz Gebhard (Elberfeld). Auf Antrag von Professor Coues (Washington) wurde die fernere Wahl von Mitgliedern des Vorstandes und Beirathes verschoben, bis hierüber die Ansicht entfernt wohnender Anhänger der Gesellschaft vernommen worden sei.

   Es wurden verschiedene Vorschläge gemacht hinsichtlich derjenigen Werke über orientalische Philosophie, welche zuerst ins Deutsche übersetzt werden sollten. Auch machte sich die Ansicht geltend, daß die Mitglieder der Gesellschaft in Nord- und Süd-Deutschland, Österreich und Ungarn veranlaßt werden sollten, sobald als möglich locale Sectionen der Societät zu bilden.

   Da ferner dringliche Anträge nicht gestellt wurden, so ward die weitere Verhandlung auf den folgenden Tag ausgesetzt. Unter allgemeinem Austausche von Glückwünschen über die günstigen Verhältnisse und Umstände, unter denen dieser deutsche Zweig der Theosophischen Gesellschaft begründet worden, wurde die Versammlung geschlossen.

                                                  Agathe Haemmerlé    

                                             Secretair der Versammlung.

Einverstanden. Verbriefung

der Gesellschaft bewilligt.

H. S. Olcott,  P. T. S.

Villa Gebhard. Elberfeld. Stuckornament auf allen Fensterstürzen im ersten Stock. Aufn. R.Speckner 2010

Mary Gebhard und Eliphas Levi

   Das innere des Hauses umfasste auch einen 'occult room', d.h. einen Raum, den sich Mary Gebhard für die Zeit ihrer mediatativen Versenkung speziell eingerichtet hatte, und den niemand außer ihr betreten durfte. In diesem Raum hing auch ein Portrait ihres okkulten Lehrers Eliphas Levy.

   Olcott erzählt in seinen Erinnerungen einiges über Mary Gebhards Persönlichkeit und ihre Bekanntschaft mit Éliphas Lévi. Am 23.7.1884 kam Olcott in Elberfeld an: „Frau Gebhard empfing mich wie einen Bruder. Ich bin niemals einem loyaleren und charmanteren Charakter begegnet. Sie war eine jener Frauen, die um sich eine Atmosphäre der liebenden Anteilnahme und Gesittetheit verbreiten, die ihrem Heim eine sonnenhafte Mitte sind, ihrem Manne unentbehrlich werden, und von ihren Kindern verehrt. Für ihre Kollegen in der Theosophischen Gesellschaft war Frau Gebhard dadurch besonders anziehend, daß sie sehr zur Mystik neigte und den Okkultismus seit Jahren studiert hatte, soweit ihr familiärer Aufgabenkreis ihr das gestattete. Sieben Jahre hindurch war sie die eine von zwei Schülern des Éliphas Lévi gewesen (der andere war der Baron Spédaliéri), und nach der Aufhebung der Belagerung von Paris [28.1.1871] hatte der vom Schicksal geschlagene Okkultist halbverhungert eine längere und großherzige Gastfreundschaft bei ihr genossen. Sie hat ihre Eindrücke von ihm für den ‚Theosophist’ im Januar 1886 niedergeschrieben. Sie sprach von ihm mit großer Hochachtung und Liebe als von einem Kabbalisten, Meister und Freund, sagte aber, daß sein schwacher Punkt eine epikureische Gefräßigkeit gewesen sei, für sie oftmals ‚ein Gegenstand des Staunens’. Da alle beide gestorben sind, schadet es niemandem, wenn ich wiederhole, was mir Frau Gebhard erzählt hat: daß Éliphas Lévi ein starker Esser war, gern gut und viel aß, Fleisch ebenso wie Gemüse, und daß er viel Wein trank zu seiner Mittagsmahlzeit. Sein Lehrerverhältnis zu Frau Gebhard spielte sich ganz in Briefen ab, er unterrichtete sie über den Okkultismus in Briefen. Ein Großteil seiner Lektionen wurde mit Erlaubnis der Frau Gebhard für den Theosophist übersetzt.“

   An anderer Stelle gibt Olcott auch eine Beschreibung des Porträts wieder, das Marie Gebhard von Eugene Levi besaß: „Man sah ihn so, wie sie ihn in dem erwähnten Artikel beschrieben hat: ‚klein und korpulent, die Figur weich und wohlwollend, einen gütigen Humor ausstrahlend, trug er einen langen grauen Bart, der seine Brust wohl halb bedeckte.’ Es war die Physiognomie eines Intellektuellen, aber die eines Mannes, der stärker von den physischen Dingen angezogen wird als von den spirituellen, eine Physiognomie, die sich sehr unterschied von derjenigen unserer indischen Adepten, bei denen die Majestät des göttlichen Anhauches überwiegt.“

    Dass Marie Gebhard ihren Lehrer, der 1875, wenige Monate vor der Gründung der Theosophical Society verstorben war, sehr verehrt hat, kommt auch in ihren eigenen Worten zum Ausdruck. Sie kennzeichnet bei dieser Gelegenheit auch die Eigenschaften Eliphas Lévis, die ihn vor anderen Menschen auszeichneten. Sie fuhr extra von Elberfeld nach Paris, um seinen Unterricht zu erhalten und hielt sich dafür oftmals eine ganze Woche lang in Paris auf. Sie schrieb im Januar 1886 für die Zeitschrift 'The Theosophist': „Ich fand in ihm etwas, das ich bei niemandem sonst gefunden habe: eine gründliche Kenntnis des Okkulten. Es schien kein Buch über den Gegenstand des Mystizismus zu geben, das er nicht gelesen hatte. Er besaß ein erstaunliches Gedächtnis und ging subtil mit den Worten um. Er gab seine Erklärungen und Darlegungen in den klarsten und sorgfältigst gewählten Worten. Man konnte ihm stundenlang zuhören, von seiner Redegewandtheit und seinen Ausführungen über die verborgenen Seiten der Natur gefesselt. Alle seine Gaben wurzelten in einer Persönlichkeit, die nobel, freundlich und redlich (treu) war. Ich verliess ihn nie ohne das Gefühl, daß meine eigene Natur durch die Berührung mit ihm erhoben und veredelt worden sei.“

   Der Aufenthalt Eliphas Lévis in Elberfeld fiel in die Monate Juli bis September 1871, da er zwei Monate dort weilte und im September 1871 nach Paris zurückkehrte. Fritz Werle weiß zu berichten, daß die Reise nach Deutschland und der Aufenthalt im Hause der Familie Gebhard Lévi sehr angeregt habe. Neben der gesundheitlichen Pflege begegnete er hier der jüngsten deutschen Philosophie. Während er Darwin und Büchner sarkastisch behandelte, stimmte er Eduard von Hartmanns Monismus „wenigstens in seinen Absichten und der Grundidee“ bei. Horst Miers berichtet schliesslich, Levi habe ihr ein Manuskript anvertraut, das 1883 in Madras unter dem Titel „Les Paradoxes de la Haut Science“ veröffentlicht wurde. Tatsächlich wurde 1883 in Calcutta ein Manuskript mit dem englischen Titel "Paradoxes of the highest Science" in englischer Sprache gedruckt. Und es gibt keinen Grund an der Angabe Mary Gebhards zu zweifeln, dass ihr Lehrer es ihr übergeben hatte. Da das Werk in demselben Jahr, in dem Mary Gebhard Mitglied der T.S. geworden ist, von Theosophen in Indien gedruckt worden ist, liegt es nahe, die Herausgabe dieses Werkes aus dem Nachlass Levis mit dem Besuch Mary Gebhards in London in Zusammenhang zu bringen. 

Unpublished writings by Eliphas Levi. The Paradoxes of the Highest Science. Translated from the French Mss. by a .... Calcutta 1883.

Olcotts Reise durch Deutschland 1884

    Nach der Gründung ging Henry Steel Olcott gemeinsam mit Wilhelm Hübbe Schleiden auf eine Reise durch Deutschland, um Mitglieder für die frischgegründete Sozietät zu gewinnen. Es gelang Olcott, eine Reihe von Persönlichkeiten zum Beitritt zu veranlassen, die hoffen liessen, dass die 'Theosophische Sozietät Germania' in der deutschen Öffentlichkeit bekannt werden würde und auf das deutsche Geistesleben einen nicht unerheblichen Einfluss gewinnen werde.

   In Dresden konnte er den Baron Oscar von Hoffmann aufnehmen, der später als Schriftsteller und Übersetzer theosophischer Werke hervortreten sollte. Er übersetzte und veröffentlichte 1884 "Die Esoterische Lehre oder Geheimbuddhismus" von A.P.Sinnett, 1888 Mabel Collins berühmten Meditationsklassiker 'Licht auf dem Weg' und 1889 Mabel Collins Erzählung 'Das Lied von der weißen Lotos'. Mit Blavatskis "Entschleierter Isis' konnte Hoffmann wenig anfangen: sie enthalte zuviel Stoff in schlechter Anordnung, er könne sich den Stoff nicht merken. 

   In Leipzig begegnete Olcott auch der Kolonialdirektor und Schriftsteller Albrecht Wilhelm Sellin. Sellin hatte eine tiefe Beziehung zur Freimaurerei und wurde 1892 Redakteur des 'Bundesblattes', das von der Großen National-mutterloge zu den drei Weltkugeln' herausgegeben wurde, deren Großarchivar er wurde. Er übersetzte und veröffentlichte 1919/20 Schriften von Louis Claude de Saint-Martin für die Goetheanum-Bücherei. Wie Oskar von Hoffmann schloß er sich nach der Jahrhundertwende der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft an und folgte Rudolf Steiner als die deutsche Sektion von der Leitung in Adyar (Annie Besant) ausgeschlossen wurde.

   Baron Ernst von Weber war der Vorsitzende des Weltbundes gegen Vivisektion. Durch sein vehementes Eintreten gegen Experimente am lebenden Tier war er im gesamten deutschsprachigen Raum äußerst bekannt.

   In Ambach am Starnberger See versammelten sich in der Villa von Gabriel Max eine Reihe von an der mitteleuropäischen Theosophie seit langem interessierter Menschen, die nun gespannt waren, was Ihnen die indische Theosophie zusätzlich geben konnte. Auch hier wurden neun Menschen aufgenommen, darunter zwei weitere Berühmtheiten: Gabriel von Max und Karl du Prel.

    Gabriel von Max wird von Karin Althaus zurecht als 'Malerstar' bezeichnet. Er verkaufte seine Bilder weltweit, sogar bis nach den U.S.A., Australien und Japan. Als Professor für Historienmalerei an der Münchner Kunstakademie zog er auch Schüler aus aller Welt an. Seine Bilder wurden als Schwarz-Weiß-Drucke vervielfältigt und schmückten tausende von Wohnzimmern.

     Max war ebenso an der Entwicklungstheorie interessiert. Er legte die umfangreichste phylogenetische Privatsammlung der Welt mit menschlichen Schädeln und Skelettknochen, Mumien und Tierknochen an. Er unterhielt eine eigene Affenherde und sezierte die Tiere nach ihrem Tode mit eigener Hand. Dabei gab er sich selbst über alles mit einem Protokoll Rechenschaft. Ernst Haeckel schätzte ihn als Kenner der Abstammungslehre und als Maler.

    Das dritte Gebiet, dem sich Max widmete, war der Spiritismus. Max studierte die einschlägige Literatur, veranstaltete selbst Seancen und versuchte Persönlichkeiten mit besonderen Begabungen für übersinnliche Erlebnisse zu malen. Darunter war z.B. die Seherin von Prevorst. Justinus Kerners Buch über die Seherin von Prevorst, so erklärte er, sei das wichtigste Buch, das er in seinem Leben gelesen habe.

Gabriel von Max. Der Geistesgruß. Öl auf Lwd. 1879. Radierung von Raab. Um 1900.

Gabriel von Max lebte sehr zurückgezogen. Durch seine Malerei reich geworden konnte er sich ein großes Anwesen am Starnberger See leisten und seinem Erkenntnisdrang in ganz selbständiger Weise nachgehen. Seine Bilder waren Tagesthema in Deutschland.

    Die andere berühmte Persönlichkeit, welche Olcott gewinnen konnte, war Karl Du Prel. Du Prel war ein philosophischer Schriftsteller, der von Eduard von Hartmann herkommend, die naturwissenschaftliche Entwicklungslehre zur Grundlage seines Denkens gemacht hatte. Der Darwinismus erklärte ihm nicht nur, woher der Mensch gekommen sei, sondern er eröffnete ihm auch Ausblicke in die Zukunft des Menschen. Wenn der Mensch einen so weiten Weg zurückgelegt hatte, warum sollte dieser Weg schon zu Ende sein? Du Prel entdeckte Menschen, die Fähigkeiten besaßen, die andere nicht hatten, insbesondere geistiger Art. Er war überzeugt davon, dass diese Menschen Zukunftsfähigkeiten entwickelt hätten, die später Allgemeingut der Menschheit werden würden. Die geistigen Fähigkeiten müssten mit der physischen Leibesgestaltung verbunden sein, sonst wäre ihre gegenseitige Einflussnahme nicht möglich. Ihm fiel auf, dass im Leibe physische Organe gebildet worden sind, die auf verblüffende Weise mit Erfindungen des Geistes, die ohne genaue Kenntnis dieser Organe gemacht worden sind, übereinstimmen. Zum Beispiel sei die Camera obscura erfunden Worden zu einer Zeit als die Funktionsweise des Auges noch nicht genügend bekannt war um als Vorbild zu wirken. Daraus schloß er, dass in der Leibesgestaltung dieselben Kräfte wirken, die auch in der Phantasie wirken. Rudolf Steiner hat das später als einen der Grundsätze der Waldorfpädagogik so formuliert: "Wir denken mit den Kräften, mit denen wir wachsen!". Karl DuPrel formulierte seine "Monistische Seelenlehre". Er war - wie Blavatski sagte, "der sprituellste Schriftsteller Deutschlands". 

    Für diese Persönlichkeiten war Helena Blavatski nicht eine Frau, deren Offenbarungen sie atemlos lauschten, sie waren keine Anhänger, sie waren selbst Lokomotiven. Mit diesen Menschen konnte die 'Theosophische Sozietät Germania' auf eine fruchtbare Zukunft hinblicken. Karl Du Prel wurde neben Mary Gebhard der zweite 2.Vorsitzende.

Repräsentanten der Theosophie in Adyar Generalversammlung Januar 1887 ohne H.P.B. Aus Harpers Weekly 5.3.1887.

Das Ende der Theosophischen Sozietät Germania

    Doch es sollte alles anders kommen. Wenige Wochen nach dieser Versammlung am Starnberger See erreichten Europa Nachrichten aus Indien, in denen behauptet wurde, dass Helena Blavatski eine Betrügerin sei, insbesondere, dass es die 'Meister', von denen sie sprach gar nicht gebe. Gegen diese Vorwürfe hätte sie sich nur verteidigen können, indem sie deren Identität preisgab. Das hätte diese Persönlichkeiten physischen und okkulten Angriffen ausgesetzt. Darum konnte sich Helena Blavatski nicht angemessen verteidigen. Sie selbst sagte einmal, sie würde lieber selbst als Betrügerin gelten als ihre Meister preiszugeben. Das wurde damals wenig verstanden.

    Indische Schüler der Meister sagten, wenn sie gefragt wurden, aus demselben Grunde, die Meister habe es nie gegeben. Wissenschaftler und Journalisten, die der Sache auf den Grund gehen wollten, wurden dadurch bewußt auf ein falsches Gleis geführt.

    Viele indische Theosophen wollten H.P.B. auch in Indien nicht mehr haben. Die einen fanden, sie sei zu einer Belastung für die Gesellschaft geworden, andere fanden, sie eröffne den Europäern zu viele Geheimnisse.

    Für die deutsche Sozietät führten die Enthüllungen zu einem langsamen Sterbeprozeß. Die Tatsache, dass Helena Blavatski sich nicht verteidigen konnte, wurde als Eingeständnis ihrer Schuld genommen und die wissenschaftlich orientierten deutschen Theosophen verliessen die Sozietät. Im Januar 1886 wurde sie durch Wilhelm Hübbe Schleiden geschlossen. Helena Blavatski verliess Mitteleuropa, indem sie von Ostende nach London übersiedelte.  

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© Rolf Speckner