Externsteine

CORVEY UND DIE EXTERNSTEINE  

 

  1982 erschien das Buch "Corvey und die Externsteine" von Prof.Walther Matthes aus Hamburg. Walther Matthes hatte dieses Buch nach jahrzehntelangen Recherchen geschrieben, die insbesondere die Anfertigung einer Übersetzung der frühmittelalterlichen Biografien von Adalhard und Wala umfassten, den Gründern des Klosters Corvey. Paschasius Radbertus, der im Kloster Corbie an der Somme lebte, war ein Schüler dieser beiden gewesen und konnte deren Leben daher als Augenzeuge erzählen.

   Adalhard und Wala waren Halbbrüder, deren Vater Bernhard (~ 730 - 787) ein Bruder Pippins des Kleinen war, des Vaters Karls des Großen. Sie gehörten also zum karolingischen Hochadel und waren auch an der Führung des Reiches unmittelbar beteiligt. Die Gründung Corveys hatte dem entsprechend neben ihrer spirituellen auch eine politische Seite. Matthes Buch befasst sich aber vor allem mit den spirituellen Hintergründen der Gründung Corveys. Aus den Biografien Radberts ist zu entnehmen, dass Wala zunächst, bevor es seinen Platz an seinem heutigen Ort an der Weser gefunden hat, im Jahre 816 eine Gründung an einem anderen Ort versucht hat, "wo die feindlich gesinnte Macht des Götzen und der Kult des heidnischen Heiligtums das gesamte bebaute Land in Unehre gebracht hatte" (Radbert).  

   Aus einem Vergleich der Aussagen der Quellen über dieses heidnische Heiligtum, das an einem Ort namens "Hethis" gelegen haben soll, mit der Felsenstätte der Externsteine sowie einer Untersuchung des Weges, auf dem die Übersiedlung von "Hethis" nach dem Ort an der Weser, an dem Corvey 822 seinen endgültigen Platz gefunden hat, schliesst Matthes, dass Corvey, das zentrale Missionskloster für das Sachsenland, ursprünglich im Umfeld der Externsteine angesiedelt worden ist.

   Die Bedeutung, die dem Kloster Corvey von Anfang an zugedacht war und die es auch jahrhunderte hindurch hatte, lässt auch Rückschlüsse zu auf die Bedeutung und den Wirkungsumkreis des Heiligtums, das für uns nur unter dem Ortsnamen "Hethis" bekannt ist.

   Wenn die Vorgründung von Corvey 816 an den Externsteinen bzw. in deren nächstem Umfeld geschehen ist, dann liegt die Annahme nahe, dass eine Reihe von Kulturspuren an den Externsteinen mit dieser Gründung in Zusammenhang stehen. Matthes spricht in "Corvey und die Externsteine" aber nur diese Vermutung im Sinne einer Forschungsaufgabe aus. Gemeinsam mit Rolf Speckner hat er von 1982 bis 1996 daran gearbeitet, den Nachweis zu führen, dass das Relief an den Externsteinen ein karolingisches Kunstwerk ist, das heißt im Zusammenhang mit der ersten Gründung von 816 entstanden ist. 

Prof. Walther Matthes (1902-1997) im Jahre 1993 in Ahrensfelde.

DAS RELIEF AN DEN EXTERNSTEINEN.

 

   1997 erschien im Verlag edition tertium, der von ehemaligen Mitarbeitern des Verlags Urachhaus, die auch "Corvey und die Externsteine" betreut hatten, gegründet worden war, das Buch "Das Relief an den Externsteinen" von Walther Matthes und Rolf Speckner. Darin wird das bedeutende Monumentalrelief in die Zeit zwischen 816 und 822 datiert sowie einige rätselhafte Einzelheiten der Kreuzabnahme-Darstellung aus der Theologie des 9.Jahrhunderts (Amalarius) erläutert sowie eine Beziehung des Reliefs zu der im 8.Jahrhundert einsetzenden Gralsfrömmigkeit hergestellt.

   Die Hauptschwierigkeit der Datierung liegt darin, dass es verhältnismäßig wenig Vergleichsdarstellungen der Kreuzabnahme gibt. Die Kreuzabnahme ist neben der Geburt, dem Abendmahl, der Kreuzigung und Auferstehung eine Nebenszene. Dementsprechend sind tausende von Darstellungen der Kreuzigung aus dem Früh- und Hochmittelalter erhalten. Der Katalog der erhaltenen Kreuzabnahmen, den wir erstellen konnten, umfasste für die Zeit von 800 bis 1300 aber nur 246 Stück. In das 9.Jahrhundert entfielen davon nur 2, in das 10.Jahrhundert werden 12 datiert, um 1000 entstanden 5 weitere, in das 11.Jahrhundert werden 35 Darstellungen plaziert, "um 1100" datiert man 8 weitere, aus dem 12.Jahrhundert sollen 67 Darstellungen stammen, "um 1200" werden 7 Darstellungen eingereiht, 106 Darstellungen werden ins 13.Jahrhundert datiert und 11 weitere "um 1300". Die Liste ist sicher nicht vollständig, aber ich könnte sie heute (2015) nur um etwa zwei Dutzend erweitern.

    Nur ein Bruchteil dieser Darstellungen waren Steinreliefe.

    Sehr grob berechnet verdoppelt sich die Anzahl der Darstellungen etwa von Jahrhundert zu Jahrhundert.

    Die Ausgangsfrage des Buches war, ob sich das Relief in die Kunst des 9.Jahrhunderts einordnen lässt. Die beiden Darstellungen des 9.Jahrhunderts weichen sehr stark untereinander ab und unterscheiden sich auch vom Felsenrelief. Das ist für die Anfangszeit einer neuen Bildidee in der Kunst nicht anders zu erwarten. Tastende Anfänge gehen der kanonischen Darstellung immer voraus. Will man ein Kunstwerk in eine solche Anfangsphaser der Bildentwicklung datieren, muß man daher eine andere Vorgehensweise wählen. Diese besteht in unserem Falle darin, jedes Einzelmotiv mit entsprechenden Motiven auf Kunstwerken der Kreuzigung usw. aus dem gesamten Zeitraum zu vergleichen. Dadurch vergrößert sich der Bestand an Vergleichsdarstellungen erheblich und man kommt zu einem anderen Ergebnis als wenn man nur den schmalen Bestand an Kreuzabnahmedarstellungen zugrunde legt.  

    Bleibt man im Rahmen der Kreuzabnahmedarstellungen, liegt es tatsächlich nahe, das Relief ins 12.Jahrhundert zu datieren.

    Zieht man jedoch weitere Darstellungen heran, was z.B. bei der Kreuzform, bei den Darstellungen von Johannnes und Maria, bei denen von Sonne und Mond, bei den Ausformungen der Inschrifttafel usw. sehr gut möglich ist, dann kommt man zu einem anderen Ergebnis. Man kann dann auch  Kunstwerke heranziehen, die in Corbie und in Corvey entstanden sind, also in den Klöstern, die mit der wahrscheinlichen Gründung Corveys in "Hethis" zusammenhängen. Dabei zeigt sich, dass im Corbier Psalter (Bibl. Municipale Amiens, Ms.18) von ~810 Motive zu finden sind, die nur dort und im Kreuzabnahmerelief zu sehen sind!

    Dementsprechend datieren Walther Matthes und Rolf Speckner das Kreuzabnahmereief an den Externsteinen in die Zeit 816-822.

    Es soll nicht verschwiegen werden, dass es eine Einzelheit im Kreuzabnahmerelief gibt, die sich in die europäische Kunst des 9.Jahrhundets zunächst nicht so gut einordnen liess, nämlich die langen Ärmel der Maria. Vergleicht man sie aber mit den ältesten reliefplastischen Frauendarstellungen in Mitteleuropa, den wundervollen Grabsteinen der Quedlinburger Äbtissinen, dann zeigt sich, dass diese frommen Frauen aus der 2.Hälfte des 10.Jahrhunderts ebenfalls allesamt die langen Ärmel tragen. Die Reliefplatten in der Krypta der Kirche St.Servatii sind aus Stuck gefertigt. Im Jahre 2002 wurden die inzwischen im Corveyer Westwerk gefundenen Bruchstücke von reliefplastischen bzw. nahezu vollplastischen Stuckfiguren aus dem "Quadrum" genannten Raum im ersten Stock gemeinsam mit den Vorzeichnungen zu diesen Plastiken, die unter dem Gips gefunden wurden, von Joachim Poeschke veröffentlicht. Einige dieser Stuckfiguren hatten ebenfalls solche langen Ärmel wie die Maria im Kreuzabnahmerelief. Das war uns 1996 noch nicht bekannt.

 

Leider hat der Verlag die Vergleichsabbildungen im Buch zum Teil recht klein gedruckt. Für den Kunsthistoriker mögen diese kleinen Bilder als Erinnerungshilfe ausreichen, für den Laien aber nicht. Der Verlag hat sich in eigenwilliger Weise von seinem Vorgehen nicht abbringen lassen.

Das Kreuzabnahmerelief an den Externsteine, 816-822 von Corbier Mönchen, evtl. mit Hilfe byzantinischer Künstler, geschaffen. Andere Forscher datieren es auf 1117 bzw. 1150-60.
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© Rolf Speckner