Johann August von Starck

Als ich begann, mich mit Freimaurerei zu befassen, war es ein Buch von Johann August Starck, das zuerst meine bleibende Aufmerksamkeit erregte. Es hieß "Ueber die alten und neuen Mysterien" und war in "Berlin bei Friedrich Maurer, 1782" erschienen. Starck wird heute manchmal als einer der Begründer der vergleichenden Religionswissenschaft angesehen. In der Tat muß sein Werk zu den ersten gerechnet werden, die in derart umfassender Weise das ganze Phänomen der antiken Mysterienkulte beschrieben haben. Seine Kenntnis der antiken Quellen ist umfassend - und so soll hier eine Zusammenfassung dieses Buches folgen:

Johann August von Starck (1741 - 1816)

Über die alten und neuen Mysterien (1782)

1782 erschien anonym, aber aus der Feder J.A.Starcks, ‚Ueber die Alten und Neuen Mysterien‘, „dem Herrn ... Ludwig, Erbprinzen und Landgrafen von Hessen-Darmstadt ... ehrerbietigst gewidmet“. Im Vorwort des Werkes betonte der seit einigen Jahren unter dem Verdacht des Kryptokatholizismus stehende Oberhofprediger in Darmstadt, "dass ich nicht für Fremde, für die große gelehrte Welt, sondern nur allein für Mitglieder der Gesellschaft geschrieben habe" (S. IV). Die Widmung an den Landgrafen geschieht ausdrücklich an einen Mann, der „den ganzen darin abgehandelten Gegenstand genau durchsiehet“. Im Vorbericht erzählt Starck, wie es zu diesem Buch kam. Er habe für einen Freund ein französisches Buch über die alten Mysterien übersetzen sollen. Bei der Übertragung sei ihm klar geworden, wie schlecht das Buch sei und dass es in deutscher Sprache auch kein besseres gebe. Da habe er sich entschlossen, selbst eines zu schreiben. Starck untersucht anhand der griechischen Originalquellen Entstehung und Bedeutung der Alten Mysterien und kommt zu dem Ergebnis, dass die bisherigen Ansichten darüber nicht zutreffen können. Er beschreibt auf Grund profunder Quellenkenntnis die Gepflogenheiten und den Sinn der antiken Mysterien, wobei er besonders auf Eleusis eingeht. Den antiken Mysterien stellt er dann das Christentum gegenüber und schließlich die neuen Mysterien, sprich: die Freimaurerei. An dem Begriffspaar „alte“ und „neue Mysterien“ wird deutlich, dass er einen Zusammenhang des seinerzeitigen okkulten Strebens mit dessen Vorläufern zumindest vermutet hat und deshalb höchstes Interesse am griechischen Geistesleben hatte. Dieses Werk scheint der wichtigste Beitrag Starcks zur Frage der Neubegründung der Mysterien im Rahmen der Freimaurerei gewesen zu sein. Er selbst sah es 30 Jahre später als bedeutender für die Freimaurerei an als sein Buch ‚Über den Zweck des Freimaurerordens‘(1782). Das Buch soll deshalb hier ausführlich besprochen werden. Über den Ursprung der Mysterien kann Starck nichts Genaues ausmachen. Er stellt fest, dass die alten Schriftsteller lediglich sagen, wer die jeweiligen Stifter der Mysterien gewesen sind und manchmal von wo sie diese gebracht haben. Kadmus und Inachus hätten sie nach Griechenland gebracht, Erechtheus nach Athen, Trophonius nach Böotien, Melampus nach Argis, Minos nach Creta, Orpheus nach Thrakien, usw. Ferner sagen sie, dass die Mysterien jeweils einer oder mehreren Gottheiten gewidmet waren, die auch ihrerseits als die Stifter der Mysterien anzusehen seien. Die Ägypter hätten ihre Mysterien von Isis und Osiris empfangen, die eleusinischen seien von Ceres den Athenern vermittelt worden. Die gehörigen Erzählungen hätten die Form von Priestermärchen gehabt, doch verberge sich hinter derartigen Erzählungen oft Bedeutsames. Ausführlich sucht er die Ansichten des anglikanischen Bischofs William Warburton zu widerlegen, dass die Mysterien von den Gesetzgebern der Staaten eingerichtet worden seien, um die großen Wahrheiten wie die der Unsterblichkeit der Seele zu bewahren.[W.W. The Divine Legation of Moses.] Man sieht bei Warburton schon die Tendenz, die Freimaurerei als Organ zur Festigung der Macht der Wissenden, bzw. als Machtmittel zur Festigung des Staats zu benutzen. Starck setzt dieser Ansicht – die eine Überzeugung der angelsächsischen Freimaurer geworden und geblieben sein dürfte – entgegen, dass viele der von den Alten genannten Gründergestalten keine Gesetzgeber waren, wie z.B. der Zoroaster, der nur religiöse Vorschriften erlassen hat, aber auch Melampius, Orpheus, Trophonius und die Druiden. „Die Geschichte von dem eigentlichen Ursprung der Mysterien wird daher wohl noch immer eine Sache bleiben, die sich in der tiefen Dunkelheit des Altertums verliert, ... Finden wir gleich keinen hinreichenden Grund, die Nachricht der Griechen in Zweifel zu ziehen, die den Ursprung ihrer Mysterien aus Ägypten herleiten, so verlieren sich doch die nähern Umstände ihrer Einführungen in der Dunkelheit der Fabel und heiligen Sagen, und von wannen hatten denn die Ägypter die ihrigen, die nachmals von ihnen zu andern übergingen?“ [S.11] Starck spricht dann vorläufig seine eigene Ansicht aus, dass nämlich in den Mysterien gegenüber dem bei den Griechen üblichen Polytheismus der Deismus gelehrt wurde. Dieser sei die ursprüngliche Religion der Völker gewesen. Zu der Ausartung der Religion sei es durch einen „unschicklichen allegorischen Unterricht“, durch eine „unrichtige Vorstellung von der Geister- und Körperwelt“ sowie durch die Zerstreuung und Mischung der Völker gekommen. Während dieses Überganges der ursprünglichen Anschauung zur Vielgötterei seien die Mysterien entstanden. Man machte sich kein Gewissen daraus, „sich die Wahrheit als ein privates Gut zuzueignen, da unterdessen das Volk im Irrtum wandelte.“[S.14] Im Weiteren verfährt er wie ein moderner vergleichender Religions-wissenschaftler: „Gewisse Übereinstimmungen zwischen Aegyptern und andern Völkern würden hier vielleicht noch manche Spuren angeben, denen ein kluger Forscher nicht ohne Nutzen folgen könnte. Denn wenn es gleich gewiss ist, dass die Aegypter in den ältesten Zeiten Kolonien aus ihrem Lande ausgeschickt haben; so ist es doch auch gewiss, dass dieselben nicht über den Euphrat gegangen, sondern gegen Osten und Norden sich allein bis nach Phönizien erstreckt haben. Trifft man daher im tiefen Orient Völker an, die in ihrer religiösen Denkart, und in manchen andern Stücken, mit den Aegyptern genau übereinstimmten, so kann man mit der größten Wahrscheinlichkeit annehmen, dass dieselben solche nicht von den Aegyptern entlehnt haben, da diese sich nie bis dahin verbreitet, sondern dass dieselben es vielmehr gewesen, von welchen sie auf die Aegypter gekommen, wo nicht diese gar eine Kolonie von jenen sind. Da würden also auch wohl natürlicher Weise die Urquellen der Geheimnisse aufzusuchen sein, die von da nach Aegypten gekommen, und so auf die Griechen fortgepflanzt worden.“ [S.19-20] Starck schließt aus der Begrenztheit des ägyptischen Einflusses darauf, dass Chaldäa, Persien und andere benachbarte Länder wohl am wahrscheinlichsten als diejenigen anzusehen seien, aus denen die Mysterien zuerst hervorgegangen sind. Er verweist abschließend auf ein Wort des Alten Testaments, in dem von Salomo gesagt wird, „dass seine Weisheit größer gewesen, als aller Kinder gegen Morgen, und aller Aegypter Weisheit“ [ 1.Könige.IV.30] , welches er als einen Hinweis auf die Verschiedenheit und Gleichrangigkeit der Weisheit Asiens und Ägyptens deutet. Im zweiten Kapitel beschreibt er den Ruf, in dem die alten Mysterien bei den Gebildeten unter den alten Griechen aber auch beim Volk standen. Unbestreitbar war ihr Ansehen das allerhöchste. Bei den Unwissenden mag das Dunkel, welches das Geheimnis umgab, sowie der Prunk der vorbereitenden Feierlichkeiten, die sich öffentlich ereigneten, eine Rolle gespielt haben, doch auch die Eingeweihten selbst sprechen von dem von ihnen Erfahrenen mit der größten Hochachtung. Wer eingeweiht worden war, „der würde nach dem Tode göttlicher Ehre teilhaftig. So erklärt sich wenigstens der Scholiast Aristophanes. Auf göttliche Verehrung machten sich wohl eben die Griechen keine Rechnung; aber was man sich von der Einweihung versprach, war doch gewiss nichts geringes. Es war δειωσις, eine gewisse Teilnehmung an der göttlichen Natur.“ [S.32] Diese Verwandlung des ganzen Menschen führe dazu, dass die Eingeweihten im Leben frömmer und tugendhafter wurden, und dass sie nach dem Tode schneller durch die Sphäre, in der die anderen „im Schlamm und Unreinigkeiten“ stecken blieben, hindurchgeführt wurden. Plutarch, Cicero, Sueton und Pausanias werden als weitere Zeugen angeführt. Dieses Urteil hielt sich sogar bis in die Verfallszeit hinein, als die Mysterien schon manchem Missbrauch hatten dienen müssen. Als Kaiser Valentinian sie am Ende des 4.Jahrhunderts abschaffen wollte – das Christentum war bereits staatstragende Religion – da riet ihm Praetextatus davon ab, weil man allgemein glaubte, „dass die Wohlfarth der Menschen davon abhinge“ [S.41]. Diese Beobachtung führt in das 3.Kapitel über, in dem Starck die Stellung der Kirchenväter zu den Mysterien umreißt. Die Äußerungen derselben erweisen sich als zwiespältig. Zum einen verurteilen sie die Mysterien als Teufelswerk und verspotten die angeblichen Geheimnisse, zum andern sehen sie Ahnungen der wahren Auffassung in ihnen ausgedrückt, ja sprechen von tiefen Wahrheiten hinter deren Symbolen. Bedenkt man aber, mit welcher Unbilligkeit sie über ihre christlichen Mitbrüder urteilen, sobald diese nicht in allem Dogmatischen mit ihnen einer Meinung sind, wird deutlich, dass man gegenüber heidnischen Mitbürgern von ihnen kein ausgewogenes Urteil erwarten darf. Allerdings habe ihnen der Verfall der Mysterien manchen Anlass gegeben, zu einem ablehnenden Urteil zu kommen. Auch dürfe man die Konkurrenzsituation nicht vergessen, die dadurch entstand, dass in den Geheimnissen von denselben Wahrheiten die Rede war, von denen in den nichtöffentlichen Lehren der Christen gesprochen wurde. Die großen Wahrheiten von der Unsterblichkeit der Seele, von künftigen Strafen und Belohnungen, wurden bildlich dargestellt, sagt Clemens von Alexandrien [Clement. Alex. Stromata. Lib.V. p.550]. Und in den großen Mysterien sei „wirklich eine nähere Vereinigung mit dem höchsten Wesen“ [Clement. Alex. Stromata. Lib.V. p.582] geschehen. Die Väter des Christentums sahen sich mit den Mysterien im Kampf. Denn viele Bürger ahnten, dass es sich um die gleichen Inhalte handelte, und vermuteten – aufgrund der Arkandisziplin – hinter den den christlichen Wahrheiten vergleichbaren noch weitere verborgene Geheimnisse. Die Eingeweihten hinwiederum mussten erleben, dass Teile des Wissens, welches sie nur nach umfangreichen Prüfungen eröffneten, von den Christen in aller Öffentlichkeit verkündet wurden! Das vierte Kapitel behandelt das Verhältnis der Mysterien gegen die Philosophie. Wie die Mysterien hätte auch die Philosophie eine Arkandisziplin gehabt. Vieles wäre allen vorgetragen worden, einiges nur wenigen. Das letztere war nur den vertrauten Freunden, den unmittelbaren Schülern und den ausgewiesenen Gelehrten zugänglich. Das führte zu einer Art von doppelter Lehrart, „die ihren ganzen Vortrag dergestalt zum Rätsel machte, dass sie von einem Dinge redeten, aber darunter ein ganz anderes verstunden.“ [S.60] Der Vortrag philosophischer Wahrheiten grenzte oft an die Lehre der Mysterien, so dass die Philosophen in der Gefahr standen, des Verrats bezichtigt zu werden. Sokrates wollte sich deswegen nicht einweihen lassen. Und da der philosophische Unterricht ganz öffentlich war, musste er sich so ausdrücken, dass es für jedermanns Ohren geeignet war. Besonders nahe ist das Verhältnis zwischen den Mysterien und der Philosophie bei den Pythagoräern. Man muss sich fragen, ob es nicht dasselbe war, was man in den Mysterien nach langen Prüfungen erfuhr, von den Philosophen aber ohne solche Mühen? William Warburton leugnete das. Die Mysterien, die er für Zweckgründungen des Staates hielt, die seinen Bestand garantieren sollten, hätten diesen Nutzen im Auge gehabt, die Philosophie allein die Wahrheit. Deshalb hätten sie nicht dasselbe lehren können. „Mich dünkt, dieser Grund ist sehr schwach“, kommentiert Starck. Wahrheit und wirklicher Nutzen seien nicht leicht voneinander zu trennen. Die Mysterien seien untereinander zu verschieden als dass man ihre Lehren allesamt mit denen der verschiedensten Philosophien gleichsetzen könne. Es habe aber Philosophen gegeben, insbesondere die ionischen und italienischen, die ihr Wissen aus den Mysterien abgeleitet hätten. Thales sei z.B. in Ägypten unterrichtet worden. Ähnliches gelte von Pythagoras und dessen Schülern, von denen wiederum Plato gelernt habe. „Genug, wenn man von beiden, von der Philosophie der Alten und ihren Mysterien einigermaßen unterrichtet ist, so siehet man leicht, dass sie sich einander immer die Hände geboten, und nicht so verschieden gewesen als von Warburton geglaubet wird.“ [S.71] Die Übereinstimmung betraf nicht bloß die Geheimhaltung als solche, sondern auch die Inhalte, die geheim gehalten wurden. Tatsächlich gehörten viele spekulative Lehren der Philosophie auch zu den Arkana der Mysterien, insbesondere die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele und von ihren Zuständen nach dem Tode. Die Übereinstimmung der Mysterien mit der Philosophie sei unleugbar. Doch war der Umfang des Wissens nicht derselbe. Denn auch jene Philosophen, die offen über diese Inhalte sprachen, bewahrten sich ihre Hochachtung vor den Mysterien. Sie müssen daher noch etwas anderes aufzuweisen gehabt haben. Im fünften Kapitel untersucht Starck zwei auffallende äußere Eigenheiten der Mysterien: die Durch-führung der Einweihungen bei der Nacht sowie die geforderte Verschwiegenheit der Eingeweihten. Es gibt eine Fülle von Zeugnissen, die die Durchführung „der Geheimnisse“ – wie Starck die Mysterien immer übersetzt - bei Nacht belegen. Starck hält es für wahrscheinlich, dass das auch für diejenigen Mysterien gilt, von denen nichts Derartiges überliefert ist. Als Zweck dieser Maßnahme gibt er im Wesentlichen an, dass die Nacht das Gemüt schon von sich aus auf die unsichtbaren Dinge richtet. Ein Schauer des Geheimnisvollen rühre die Seele an – und sie könne auf dem Boden dieser Empfin-dungen leichter zum Ziel gelangen. Er bemerkt andererseits aber auch, dass die Maschinen, die für die Durchführung der Schauspiele nötig waren, bei Tageslicht allzu leicht hätten gesehen werden können und dann der falsche Eindruck eines ‚frommen Betrugs‘ hätte entstehen können. Möglicherweise habe man auch die Anziehungskraft der ‚Geheimnisse‘ erhöhen wollen. Das tiefe und unverletzliche Stillschweigen über das Erlebte, das den Einzuweihenden auferlegt wurde, mochte wohl auch die Anziehungskraft der Mysterien erhöht haben. Allerdings könne das nur von den Kleinen Mysterien gelten, an denen möglichst alle teilnehmen sollten. Die Teilnehmer der großen Geheimnisse waren handverlesen und es fand keine Werbung für sie statt. Die Kirchenväter haben dem angelobten und tatsächlich gehaltenen Stillschweigen manchmal unterstellt, es solle besondere Gräuel, die sich in den Mysterien abspielen sollten, decken. Doch lasse sich dieser Vorwurf auch umdrehen, da die christliche Kirche der ersten drei Jahrhunderte ihre Arkana ebenso wenig vor den Ohren der Heiden erörtert habe. Cyrill von Jerusalem schreibt: “Von den Mysterien der Religion reden wir in Gegenwart der Catechumenen nicht offenbar, sondern nur verdeckt, dass diejenigen, die sie bereits kennen, es nur verstehen können.“[S.88] Ähnlich spricht Clemens von Alexandrien, der das Verhalten der Mysterienweisen sogar zur Rechtfertigung des entsprechenden Verhaltens der Kirche anführt: „Die Stifter der Mysterien waren weise, und haben deswegen ihre Lehren in Fabeln eingehüllet, damit sie nicht allen bekannt würden. Haben sie aber schon von bloß menschlichen Erkenntnissen die Ungelehrten zurückgehalten, damit sie sich nicht denselben nähern möchten, ist es nicht um so viel mehr zuträglich, dass das wahrhaftig heilige und selige Anschauen verborgen werde?“ [S.89] Man dachte in der alten Welt von den Wissenschaften höher als man es heute tut. „Man glaubte sie zu erniedrigen, und gewissermaßen zu entweihen, wenn man sie dem Volk mittheilte“[S.91], schreibt Starck. Dies galt umso mehr als im Volk sich eine Volksreligion entwickelt hatte, die im vollen Gegensatz zu den Wahrheiten der ‚Großen Geheimnisse‘ stand. Das Volk nahm, was bildhaft gemeint war als äußere Realität auf: Chronos habe seine Kinder wirklich verzehrt, Prometheus wirklich am Felsen gelitten, u. s. w. Man musste, meint Starck, um die ruhige Entwicklung des Staats besorgt sein, wenn man dem Volk die Volksreligion genommen hätte, denn man hätte nichts an ihre Stelle setzen können. Varro schreibt: „Es gibt Wahrheiten, welche für den Staat nicht zuträglich sind, wenn sie allgemein bekannt werden: und es gibt viele Dinge, die falsch sind, und doch nützlich, wenn sie das Volk glaubt. Daher haben die Griechen ihre Geheimnisse der Verschwiegenheit und den heiligen Mauern anvertraut.“ [S.90] Nachdem Starck so die Bedeutung, die den Geheimnissen in ihrer Umwelt zugeschrieben worden, darstellt, und dann zwei bedeutende äußere Eigentümlichkeiten verständlich macht, stellt er in den folgenden drei Kapiteln die kleinen und großen Geheimnisse von Eleusis dar. Von den Eleusinien ist mehr überliefert als von irgend einem der anderen Mysterien. Die Eleusinischen Mysterien können deshalb zugleich als Schlüssel für die weniger gut überlieferten gelten. Starck nennt Meursius[1], Warburton[2] und Meiners[3] als seine gelehrten Hauptquellen.

 


[1]  Joannes Meursius. Eleusinia: sive de Cereris Eleusiniae sacro. [‚Die Eleusinien, oder: Über das Opfer der eleusinischen Ceres‘] - Meursius (1579-1639), das sprachbegabte holländische Wunderkind, promovierte in Orleans zum Doktor der Rechte, lehrte seit 1610 Geschichte und Griechisch an der Universität Leyden und wurde 1625 von Christian IV. an die neue Universität Soroe auf Seeland berufen. Seine zahlreichen gelehrten Arbeiten standen im Ruf, „Fundgruben zu sein, in denen man nicht gern etwas sucht.“
[2] William Warburton. The Divine Legation of Moses demonstrated. 1738. Book II. Section IV. - Warburton (1698-1779) war Bischof von Gloucester.  
[3] Christoph Meiners. Vermischte Philosophische Schriften. 3.Teil. Leipzig 1776  – Meiners (1747-1810) steht durch die ADB im Ruf ein eigensinniger Vielschreiber gewesen zu sein. Doch erschienen kurz nach seinen Erstlingsschriften die Werke ‚Versuch über die Religions=Geschichte der ältesten Völker, besonders der Ägypter‘ (1774) und  ‚De Zoroastris Vita etc.‘(1778). Meiners war 1782 bei ‚Erscheinen der Alten und Neuen Mysterien‘ Ordinarius für Philosophie in Göttingen.
Raub der Proserpina. Aachen, Karlssarkophag. 2.Jhdt. n.Chr.

Die kleinen Mysterien von Eleusis

Das sechste Kapitel ist den kleinen Geheimnissen gewidmet. Die Unterteilung in kleine und große entspringt den Sachen selbst: „Denn die großen Mysterien enthielten Dinge, woran man durchaus nicht einen jeden Antheil nehmen lassen konnte, teils weil nicht alle Menschen derselben empfäng-lich waren, teils auch, weil damit die im Staat gegründete, und mit der Staatsverfassung verwebte Religion gar nicht hätte bestehen können. Die kleinen Mysterien hingegen enthielten Dinge, die nicht nur ein jeder wissen konnte, sondern die auch gewissermaßen jeder wissen musste.“ [S.97] Starck möchte daher die großen Mysterien allein ‚Geheimnisse‘ nennen, denn Geheimnisse, die jeder kennen muss und kennen soll, sind doch eigentlich keine Geheimnisse mehr. 

Auch für die kleinen Mysterien waren Vorbereitungen gefordert. Sie sind nicht vollständig bekannt. Der erste Abschnitt, ĸαταρσεις oder Reinigung genannt, umfasste vorbereitende Reinigungen. Sicher sind folgende Einzelvorgänge, deren tatsächliche Reihenfolge unbekannt ist:

Reinigungen oder Abwaschungen: die Einzuweihenden wurden an den Fluss Illissus geführt und daselbst mit Wasser begossen. Sie standen dabei auf heiligen Fellen, damit die Füße nicht unrein würden. Theon von Smyrna nenne schon die Reinigungen τελετη.  Das sei berechtigt, weil die Reinigung einen mystischen Tod abbilde.

Es wurde geopfert. In Eleusis opferte man trächtige Schweine, an anderen Orten andere Tiere. Die Wahl des Opfertiers scheint nur mit der Gottheit zu tun zu haben und in keiner direkten Beziehung zum Initiationsprozess gestanden zu haben. Es kam auf das Opfern als solches an.

Die Einzuweihenden mussten beten, fasten und enthaltsam leben. Der Genuss von Äpfeln, Fischen und Bohnen war ganz verboten, man durfte sich ihnen nicht einmal nähern. 

Sie erhielten aus den heiligen Gefäßen zu essen und zu trinken. Starck sieht in der Formel, mit der sich der Einzuweihende zu erkennen geben konnte, einen Hinweis auf das Austeilen einer Mahlzeit: „Ich habe aus dem Tympanon gegessen, aus dem Kymbalon getrunken, und den Kernos getragen.“

Weniger sicher sind die folgenden Vorgänge, die Starck aus Nachrichten von anderen Mysterien u.s.w. erschließt:

Eine Art Sündenbekenntnis könnte abgelegt worden sein. Es gab ein solches in den Mysterien von Samothrake und in der Isis-Einweihung des Apuleius. 

Die Vermutung, die Einzuweihenden seien gegeißelt worden, weist Starck für die kleinen Mysterien zurück.

Es erfolgte dann der zweite Abschnitt, Μυησις oder Geheimnis genannt, die eigentliche Einweihung, von deren Gebräuchen nur sehr wenig überliefert ist. Immerhin weiß man:

- Ein Eid des Stillschweigens über das Gesehene wurde vorher geleistet.
- Das Gelöbnis eines tugendhaften Lebens wurde gegeben.
- Die Einzuweihenden trugen Myrtenkränze auf ihren Häuptern.
- Beim Eintritt mussten sie sich erneut sogleich die Hände waschen.

Möglicherweise hat man denen, die bis hierhin gekommen seien, gewisse Zeichen und Wörter bekannt gemacht, woran man erkannt habe, dass sie eingeweiht worden.

Es fällt auf, dass die letzten bekannten Umstände allesamt „an der Tür“ stattfinden. Starck meint, es müssten im Tempel selbst Einweihung und Prüfung miteinander verwoben gewesen sein. Man habe aber von den weiteren Vorgängen kein Zeugnis sondern nur Andeutungen. Eine bedeutende Schilderung entnimmt er Lukians ‚Cataplus‘. Es ist ein Gespräch zwischen Mikyllus und Kiniskus, die gemeinsam (an einem Weiheorte?) im Dunkeln herumtappen:

„Mikyll.:            Gott! Welche Finsternis! Wo ist nun der schöne Megyllus? Oder 
                          woran kann man hier sehen, ob die Symmicha schöner sei als 
                           Phryne? Denn alles ist hier einander gleich und von einer   
                           Farbe, und man kann nicht unterscheiden, was schön, und 
                           schöner sei: sondern mein alter abgetragener Mantel, der 
                           vorhin schlecht zu sein schien, ist nun eben so, wie der Purpur 
                           eines Königs. Beide sind nicht zu unterscheiden, und mit 
                           einerlei Finsternis bedeckt. Aber wo bist Du, Kiniskus?

Kinisk.:              Hier, sage ich dir, hier Mikyll ! Wenn du willst, so wollen      

                           wir zusammen gehen.

Mikyll.:              Gut! Gib mir deine Hand. Du bist doch in die eleusinischen

                          Geheimnisse eingeweiht: sage mir also, dünkt dich nicht auch,

                          dass dieser Zustand sehr mit ihnen übereinkommt?

Kinisk.:              Recht so! Siehe da kommt auch eine mit Fackeln in den Händen, 

                          die mit fürchterlichen und drohenden Blicken vor sich hinschaut. 

                          Ist das nicht eine Furie?“ [S.107-8]

Nach dem Umherirren im Dunkeln, nach den überstandenen Prüfungen, erfuhr man die ganze Geschichte der Demeter in einer dramatischen Aufführung. Zeus habe Demeter mit Gewalt genötigt, ihm zu Willen zu sein. Um seine erzürnte Gattin zu besänftigen, habe er sich eine Strafe auferlegt. Dann sei die Geburt der Persephone gezeigt worden und dass Zeus, der Vater, sich ihr unter der Gestalt einer Schlange genähert und sie geschändet habe; dann habe man die Entführung der Persephone durch Pluto, Zeus Bruder, gesehen, die verzweifelte Suche der Demeter nach ihrer Tochter, „bei welcher Gelegenheit sie den Athenern die Mysterien mitteilte“ [S.110]. 

Weil es in den anderen Mysterien auch so war, geht Starck davon aus, dass die Darstellung eine dramatische Aufführung war. Auch in den anderen Mysterien seien Vorgänge gezeigt worden, die im Leben des Volkes als ganz und gar unsittlich gegolten hätten. Man dürfe daher annehmen, „dass man bei den Vorstellungen, so viel es nur immer möglich gewesen, der Sitten geschont habe.“ [S.112].

  Nach diesen dramatischen Repräsentationen der mythischen Geschichte, in der sich Historisches und Imaginatives vermischen, wurden nach Starcks Ansicht in einem zweiten Abschnitt der Μυησις die dogmatischen Vorstellungen vors Auge gerückt, die die „Lehre von dem zukünftigen Zustand der abgeschiedenen Seelen enthielten. Man machte wahrscheinlicher Weise mit den Qualen des Tartarus den Anfang.“ [S.112] Das ganze dunkle Reich der Schatten wurde denen, die gerade hineingeführt wurden, die also in der Einweihung begriffen waren, vor Augen geführt. Starck meint sogar, es wäre, da die Vorgänge sich im Dämmerdunkel abspielten, nicht nur bei Augenwahrnehmungen, bei Bühnen-bildern geblieben, sondern „es mussten ihnen allerlei schreckliche Gestalten erscheinen, von welchen sie sogar ergriffen und in der Dunkelheit geschlagen und herumgeschleppt wurden. ... Alles, was bei dieser Gelegenheit nur die Seele mit Schrecken und Furcht erfüllen konnte, wurde in Anwendung gebracht.“ [S.112] Das Herumtappen in diesem Bereich konnte lange dauern. Es wird Stunden gedauert haben, vielleicht eine ganze Nacht. Meursius war der Überzeugung die Kleinen Mysterien hätten neun Tage gedauert! [S.120]

Umso beglückender wurde dann der Eintritt in das Elysium empfunden, in dem die Tugenden ihren Lohn empfingen. Die auserlesenste Musik, die schönsten Stimmen erquickten die in ihren Grund-festen erschütterten Seelen.

Dass die Belehrung über die Zustände des nachtodlichen Daseins ein Gegenstand der Einweihung war, bezeugen Porphyrios, Cicero und Celsus. Auch, dass dies mit Hilfe dramatischer Darstellungen geschah, steht außer Zweifel. Starck fragt sich aber, welchen Sinn das gehabt haben kann, da es doch auch die Volksreligion ebenso lehrte? Wozu das Versprechen des Stillschweigens? Wer sich etwas in den Dichtern auskannte, hätte nicht viel lernen können. Das tatsächliche Aufführen dieser Vorgänge widerlegt andererseits die Vorstellung, die Mysterien hätten die Aufgabe gehabt, die Ansichten der Volksreligion zu zerstören: es wurde ihnen ja die mythische Geschichte als besonders kostbares Wissen der Mysterien vor Augen geführt! „Der einzige Mittelweg, der hier ausgefunden werden kann, ist vermutlich dieser, daß man dasjenige, was die Fabellehre der Dichter über diesen Punkt vortrug, an und vor sich selbst stehen ließ, aber darüber bessere und der Vernunft angemeßnere Erklärungen gab, ...“ [S.116] 

Doch erfuhr man hier auch Neues. Das war z.B. die Lehre von dem mittleren Zustand zwischen Tartarus und Elysium, in dem nach der Lehre der Mysterien vor allem zu früh gestorbene Kinder verbleiben mussten. Davon erzählen die Dichter nichts. Diese Lehre, so Starck, war für die Griechen deshalb besonders wichtig, weil bei ihnen die Kindesaussetzung weit verbreitet war.

Der dritte und letzte Abschnitt der Kleinen Mysterien, τελειωσις oder Vollendung genannt, geschah, indem ein Vorhang weggezogen wurde: möglicherweise ist das nicht nur bildlich gemeint. Den hinein Geführten, in der Einweihung begriffenen, wurde „die Natur der Gottheit“ gezeigt. „Die Beschreibungen hiervon sind außerordentlich aber ebenso unverständlich.“ [S.117-8] 

Die wenigen Quellen sprechen von einem göttlichen Lichte, das sie umgeben hätte. Statt der Finsternis sei der Νοũς hervorgestiegen. 

Sicher gab es Götterbilder, aber solche, die den Ungeweihten nicht gezeigt wurden. Was damit gemeint war, geht aus einem Zeugnis des Apuleius hervor, der von einem Bilde der Isis spricht, „das weder einem Vieh, noch einem Vogel, noch einem wilden Tier, noch einem Menschen ähnlich gewesen.“ [S.118] Starck meint dazu, hier bleibe vieles unerklärlich.

Gerade an dieser Stelle wird man aber nur die Namen etwas ändern müssen, um zu einer aufschluss-reichen Entdeckung zu kommen. Isis erscheint dann in einem Bilde, „das weder einem Stier, noch einem Adler, noch einem Löwen, noch einem [engelhaften] Menschen ähnlich gesehen“, sondern – um es noch deutlicher zu machen – allen vieren zugleich. Es war ein Bild des Viergetiers, das wir auch in den vier Symbol-Tieren der Evangelisten wiederfinden!

Endlich habe Bischof Warburton  auf die Worte hingewiesen, mit denen die Eingeweihten nach vollendeter Weihe verabschiedet wurden: Κογξ ομπαξ. Die Worte konnten nicht übersetzt werden und man hat daher vermutet, dass sie aus einer Fremdsprache in die Gebräuche der Eleusinien gelangt sein und Aufschluss über deren Herkunft geben könnten.  

Während die vorbereiteten Einweihungswilligen in den Nächten „hineingeführt“ wurden, waren die Tage weiteren Opfern, Prozessionen, Spielen und Tänzen gewidmet: „Bey den Spielen ward immer auf die Geschichte der Gottheit Rücksicht genommen, und bey den Processionen wurden die geheimnisvollen Geräte, Symbolen, Bilder, und andere dergleichen Dinge herumgetragen.“ [S.120] Unter „Spielen“ werden von Starck nicht Brettspiele oder etwas Ähnliches verstanden, sondern weitere rückblickende Schau=Spiele. Bei ihnen kann man zu recht von „Rücksicht nehmen“ auf die Geschichte der Götter sprechen. Dass die Prozessionen, indem sie eine Folge von imaginativ gestalteten Gegenständen vor den Augen der Zuschauer vorbeiführten, eine Vorbereitung waren für das Hineingehen in die imaginative Welt, scheint mir evident. 

Am schwierigsten zu verstehen ist die letzte erwähnte Beschäftigung der zwischen den nächtlichen Geschehnissen liegenden Tage: „Die Tänze waren so allgemein, daß Lucian sagt, man werde keine einzige alte Einweihung finden, bey welcher nicht Tänze und heilige Gesänge üblich gewesen.“ Starck erläutert das nicht. Wenn aber der  Mensch tanzt, macht er seine Leibeshülle geschmeidig; doch wird die Bewegung vom Bildekräfteleib durchgeführt und im Falle von Tänzen vom Astralleib impulsiert. Die Tanzenden nahmen Bewegungen an der Hand von Rhythmen in die Gewohnheiten des Ätherleibes auf. Löst sich der Ätherleib unter der Gewalt der Eindrücke der Einführung (Initiation) in die geistige Welt vom physischen los, behält er die Fähigkeit, auf Musikalisches und Rhythmen in abgelauschter Weise zu reagieren. So sollte auch diese dritte Betätigung nicht allein der Belustigung oder dem Zeitvertreib in Mußestunden dienen, sondern war zugleich eine unmittelbar vorbereitende Übung für den Eintritt in die geistige Welt. 
Raub der Proserpina. Römischer Sarkophag.

Die großen Mysterien von Eleusis

Die großen Geheimnisse waren „im eigentlichen Verstand das Innere der heidnischen Religion“. Aus verschiedenen Gründen entzog man sie allen Ungeweihten, nur dem auserlesensten Teil der Priesterschaft und den Regenten wurden sie zu teil. Man nannte sie εποψία, das heißt ‚der volle Anblick‘, άπορρητα, das heißt ‚die Dinge, von denen man nicht reden darf‘, τελετή, das heißt ‚die Vollendung‘. Während bisher – auch noch in den kleinen Geheimnissen - die Wahrheit hinter Bildern versteckt worden sei, werde nun der Vorhang aufgezogen. Die großen Geheimnisse waren der eigentliche wissenschaftliche Teil der Mysterien: „Bei den kleinen Geheimnissen waren die Gebräuche die Hauptsache, bei den großen hingegen waren dies nur Nebensachen, und die Hauptsache war der Unterricht, den man erhielt“, schreibt Starck. [S.126] Von den vorbereitenden Handlungen und Prüfungen sind bekannt: - Lysander berichtet, dass von ihm eine förmliche Beichte verlangt wurde. - Proclus sagt, die großen Mysterien „führten die Seelen von dem dem Tode ähnlichen Leben hinauf zur Gottheit“ [S.127] ; dieses Zeugnis belegt, dass es nicht nur um die Mitteilung von Wahrheiten gegangen ist, sondern ebenso um Läuterung und Zubereitung. - Gregor von Nazianz behauptet, der Aspirant habe vorher „gewisse Prüfungen und Kasteiungen ausgestanden, von welchen er zwölf Stufen namhaft macht“.[S.128] Mehr hat Starck aus den Quellen nicht über die Einzelheiten des Einweihungsverfahrens erfahren können. Bedenkt man, dass viel weniger Menschen in die großen Mysterien eingeweiht wurden als in die kleinen, möchte man das auf das größere Maß von Verschwiegenheit zurückführen, das man den Eingeweihten in die großen Geheimnisse doch zutrauen darf. Über den Inhalt der großen Geheimnisse von Eleusis, sagt Clemens von Alexandrien: „Die großen Geheimnisse betreffen alle Dinge überhaupt. Nichts wird mehr zu lernen übrig gelassen, sondern man lernt nun die Natur und ihre Werke einsehen!“[S.129]. Eine Äußerung im Etymologicum magnum lautete, man habe empfangen „richtige Begriffe von den Göttern“ [Anm. Starck: sub voce τελετé. Warburton a.a.O. p. 219.]. Das zu erlangende Wissen war demnach teils physischen teils theologischen Inhalts. Starck spricht so, als handle es sich um zwei verschiedene Teile. Doch könnte es sich auch um zwei Seiten desselben Wissens handeln. Näheres ist fast ausschließlich über den theologischen Teil bekannt. Über diesen haben zum einen die Kirchenväter, die in der geistigen Auseinandersetzung mit den Trägern der heid-nischen Religion, eben den Eingeweihten, standen, berichtet. Sie mochten ihre Erkenntnisse von getauften Eingeweihten haben. Zum anderen haben auch die heidnischen Eingeweihten auf die Parallelen dessen, was in den großen Mysterien zugänglich wurde, mit den Arkana des Christentums hingewiesen. Einen ähnlichen Anlass auf die Naturerkenntnis der großen Mysterien einzugehen, gab es hingegen nicht. Das dürfte einer der Gründe sein, warum darüber weniger geschrieben worden ist.

    Als erstes wurde in den großen Geheimnissen der Irrtum der Volksreligion aufgedeckt: „Der Hierophant zeigte, dass diese ganze Bilderreligion nur gleichsam die Decke oder der Vorhang sey, hinter welcher die wahre Religion verborgen wäre: Jupiter, Juno, Minerva, Mars, Venus und Merkur, und das ganze hohe Gefolge von Göttern, die von dem unwissenden und abergläubigen  Pöbel verehret würden, wären keine Götter, sondern nur eigentlich sterbliche Menschen gewesen: da wären sie gebohren, da hätten sie gelebt, da wären auch ihre Grabmähler noch zu finden.“ [S.131] Die Verdienste dieser Menschen hätten zu ihrer Verehrung und schließlich zu ihrer Vergottung geführt. Dabei kann er sich auf entsprechende bestimmte Äußerungen Ciceros berufen. [Cicero. Tuscul. Quaest. Lib.I. cap. 12 - 13.] Die Priester wollten damit nicht sagen, dass sie das Volk betrogen hätten, sondern viel mehr, dass sie die wahre Religion im Verborgenen gerettet hätten. Die Volksreligion verdanke zum Teil den Dichtern, z.T. den Gesetzgebern, schließlich den Philosophen ihren Ursprung. Man muss nur an Homer denken, um das Berechtigte dieser Ansicht zu sehen. Ohne schwere Unruhen könne man die Volksreligion nicht einfach aufheben. Starck beruft sich auf William Warburton, der Augustinus zitiert, der seinerseits den Varro anführt. Varro läßt Scaevola zu Worte kommen. Es ist mir bisher nicht gelungen, dieses Zitat zu verifizieren.

    Damit muss auch eine andere Darstellung des Geschichtsverlaufs verbunden gewesen sein. Weshalb man nach Eusebius in den kabirischen Geheimnissen (Samothrake) „förmliche Geschlechtsregister von den vorgeblichen Göttern bekannt gemacht hat“. [S.134] 

    Starck meint, diese Enttäuschung - die man als Ent-Täuschung verstehen kann - sei der Grund, weshalb die Eingeweihten die ‚Epopten‘ genannt worden seien: „weil sie zum freyen und ungehinderten Anblick der Wahrheit gekommen seien.“ [S.134] 
     Ferner handelt es sich nicht um eine Herabsetzung der Götter, sondern darum, dass auch höherentwickelte geistige Wesen auf ihrem Entwicklungswege einmal eine Menschheitsstufe durchgemacht haben. Der Engel ist ein höherentwickelter Mensch und der Mensch ein noch unentwickelter Engel. 

     Man darf nach Starck diesen ersten Schritt in den großen Geheimnissen von Eleusis nicht auf alle Mysterien übertragen, sondern nur auf die derjenigen Völker, deren Götter ursprünglich Menschen waren - das war z.B. in Ägypten nicht der Fall. Die ägyptischen Götter erweisen sich als „personifizierte Gegenstände der Natur“. In Ägypten musste deshalb in den entsprechenden Mysterien etwas  anderes gelehrt werden. Cicero, der von den Mysterien von Eleusis, von Lemnos und Samothrake spricht, meint daher, man habe weniger über die Natur der Götter als vielmehr etwas über die Natur der Dinge erfahren. [Cicero. De Natura Deorum. Lib. I. Cap. 42]

    Die Titelvignette des Buches über die alten und neuen Mysterien zeigt übrigens ein aufrecht stehendes Oval mit einer Szene unterm Sternenhimmel. Im untersten Bereich ist etwas Erde zu sehen. Auf ihr liegt ein Totenschädel, mit den Augenhöhlen dem Betrachter schräg zugewandt. Da der Unterkiefer nicht zu sehen ist, mag es sein, dass er aus der Erde hervor ragt. Hinter dem Schädel sind Pflanzen zu sehen. Die Anzahl der aus dem Boden hervortretenden Sprosse ist nicht auszumachen. Rechts des Kopfes steht ein einzelner Schössling, den man vielleicht als Akazienzweig deuten könnte, der ein wichtiges maurerisches Symbol wäre. Über diesem Ensemble steht hoch und mächtig am Himmel der Orion. Die beiden oberen Sterne Beteigeuze und Bellatrix, die drei Gürtelsterne, sowie die beiden unteren, von denen Rigel gut bekannt ist, sind abgebildet. Sie füllen den Hauptteil der Fläche des nächtlichen Ovals aus. Rechts, das heißt himmelskundlich: im Westen, steht die schmale Mondsichel kurz vor Monduntergang. So schmal ist sie nur wenige Tage nach Neumond. Der Mond steht also nahe an der Sonne und es ist damit früher Abend angedeutet. Fragt man sich, wann das Sternbild des Orion am frühen Abend kurz nach Sonnenuntergang hoch im Süden steht, entdeckt man, dass das in unseren Breiten in der Zeit der Tag- und Nachtgleiche, genauer gesagt zum Frühlingsbeginn der Fall ist. 

    In meinem Exemplar des Buches sind Reste einer ehemaligen Kolorierung zu erkennen. Die Sterne und der Mond haben ein gelb-goldenes Kolorit, die Erde ein braunes. 
Motiv vom Titelblatt des Werkes 'Ueber die alten und neuen Mysterien'. Berlin 1782. Das Buch erschien anonym, doch hat sich J.A.Starck später als dessen Autor zu erkennen gegeben.
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© Rolf Speckner