Michael Maier 1569-1622

Michael Maier, * 1569 in Kiel;[1] † 1622 vermutlich in Magdeburg[2], war ein paracelsischer Arzt und Alchemist, der sich nach dem Erscheinen der Rosenkreuzerschriften maßgeblich für deren Echtheit und Ziele einsetzte. Im Gegensatz zu Johann Valentin Andreä und seinem Kreis stand für ihn nicht der reformatorische und soziale Gesichtspunkt im Mittelpunkt, sondern das naturwissenschaftliche Interesse eines Alchemisten.

Michael Maier. Einziges Porträt, gestochen für sein Werk 'Atalanta Fugiens' "als er 49 Jahr alt war". Das Vorwort datiert August 1617, das Titelblatt 1618.

Herkunft und Hochschulausbildung

Michael Maier studierte Sprachen und Rhetorik sowie Medizin, und zwar von 1587 bis 1591 in Rostock,[3] und seit Juli 1592 bereitete er sich an der Viadrina in Frankfurt an der Oder auf die Magisterprüfung vor, die er im Oktober 1592 ablegte.

In den nächsten beiden Jahren führte Matthias Carnarius (1562–1620) den jungen Arzt in die Lebenspraxis des ärztlichen Berufes ein. Der erst dreiunddreißigjährige väterliche Freund empfahl ihm, vor Abschluss seiner Ausbildung in Padua eine Reise im Sommer 1595 „in die Ostseeprovinzen“ zu unternehmen, um die Heilpflanzen, die man als Simplicia bezeichnet, besser kennenzulernen. Wo genau sich Maier aufhielt, als er den „uralten Naturweg“ betrat, wissen wir nicht.

Am 4. Dezember 1595 immatrikulierte er sich in Padua. Wegen eines Duells musste er Padua allerdings nach wenigen Monaten erneut fluchtartig verlassen. An der Universität Basel promovierte Michael Maier 1596 mit theses de epilepsia zum Doktor der Medizin. Hans Roger Stiehle, der Maiers Stellung in der Medizin seiner Zeit untersucht hat, bemerkt über die Dissertation, dass deren Beschreibung des Krankheitsbildes umfangreicher und ausführlicher als die anderer vergleichbarer Arbeiten aus der Zeit sei. Aber „religiöse, neuplatonische oder paracelsische Einflüsse sind in den Maierschen Doktorthesen noch nicht erkennbar.“[4] Noch im selben Jahr kehrte er nach Rostock zurück, wo er ein Jahr später 1597 den Doktortitel der Philosophie erwarb.

Der Weg zum Alchemisten

In der Zeit zwischen 1597 und 1607 hat sich Michael Maier, der Junggeselle blieb, vom gelehrten Philosophen zum praktischen Okkultisten oder Alchemisten entwickelt. Dank einer biografisch erweiterten medizinischen Schrift Medicina regia et vere heroica, Coelidonia,[5] die Maier in Prag drucken, aber nicht verkaufen ließ, lässt sich sein Weg nachzeichnen. Nach einem Zwischenaufenthalt in Holstein suchte er 1597 erneut „jenes vielbesuchte Handelszentrum nahe der baltischen See“[6] auf, das er schon 1595 besucht hatte. Figala und Neumann vermuten, es könne Königsberg gemeint sein oder eine preußische Stadt weiter ostwärts. Dort wohnte Maier im Haus eines berufsmäßigen Scheidekünstlers und Münzprüfers. Durch ihn lernte er eine örtliche Gruppe von Liebhabern der Alchemie kennen, wurde Zeuge einer rätselhaften Heilung mit Hilfe eines unbekannten goldgelben Pulvers und begann sich systematisch mit der Alchemie zu befassen. Die Medizin sollte nach Maier von einem „Engländer“ stammen.

Als im Sommer 1601 eine Seuche ausbrach, lud ihn ein wohlhabender Patient ein, bei ihm auf dem Landgut das Ende der Epidemie abzuwarten. Hier fand er eine umfassende alchemistische Bibliothek vor, aus der er im Sommer 1601 systematisch die Beschreibungen der verschiedenen Stufen des Prozesses abschrieb. Was nun geschah, fassen Figala und Neumann wie folgt zusammen:

„Wegen der großen Unterschiedlichkeit der Termini, die von den verschiedenen Autoren gebraucht werden, legte sich Maier für den eigenen Gebrauch eine Konkordanz der alchemistischen Terminologie an. Mit deren Hilfe verglich er – und versuchte, sie in Zusammenhang zu bringen – die Aussagen der verschiedenen Autoren, soweit sie ihm zugänglich waren. Im Laufe des Sommers formulierte er eine Reihe von Arbeitshypothesen, die er wiederholt änderte und gelegentlich ganz verwarf. Am Ende glaubte er, eine Theorie der wahren materia philosophica formuliert zu haben, die den Aufwand an Material, Zeit und Geld für eine experimentelle Prüfung rechtfertigte.“

– Michael Maier: Medicina regia et vere Coelidonia[7]

Die Experimente beschreibt Maier leider nicht im Einzelnen. Figala und Neumann glauben aus den wenigen Hinweisen erschließen zu können, dass sie etwas mit Salpeter zu tun hatten. Als sein Gastgeber ihn aufforderte, seine Erkenntnisse mit ihm zu teilen, kehrte Maier Ende 1601 nach Kiel zurück. Nun begann er, neben seiner ärztlichen Tätigkeit die Experimente vorzubereiten, indem er sich geeignete Räume und Werkzeuge verschaffte. Währenddessen erwarb und studierte er weitere alchemistische Literatur. Im Jahre 1603 ging er auf die Suche nach den nötigen Mineralien. Er besuchte dreißig Bergwerke in Deutschland, und im Herbst reiste er bis in den Norden Ungarns, wo bestimmte Mineralien wegen der stärkeren Sonneneinstrahlung von höherer Qualität sein sollten.

Währenddessen hatte ein hoffnungsvoller junger Tübinger Student eine Art von Eingebung, die ihn die Chymische Hochzeit niederschreiben ließ: Johann Valentin Andreae. Im Januar 1604 wollte Maier mit den Versuchen beginnen. Doch musste der Schmelzofen noch verbessert und die wesentliche Substanz, die materia philosophica, vervollkommnet werden. So konnte die Arbeit erst Ostern 1604 ausgeführt werden: Der Zeitpunkt ist bemerkenswert, denn auch der Weg der Chymischen Hochzeit begann nach mehrjähriger Vorbereitung 1459 an einem Abend vor Ostern, als Christian Rosenkreutz sich „sein Osterlämmlein zubereiten“ wollte. Dass Maiers substanzverwandelnde Versuche ebenfalls an demjenigen Zeitpunkt im Jahreslauf unternommen wurden, an dem die verwandelnde Kraft des Christus in besonderer Weise in die Substanzen eingegriffen hat und weiterhin einwirkt, kann kein Zufall sein:

„Aber dann gelang das Experiment vollständig wie geplant, und der zukünftige Adept war in der Lage, alle Erscheinungen wiederum zu beobachten, die in seinen literarischen Vorlagen beschrieben worden waren: er arbeitete seine materia aus dem Schwarzen ins Weiße, setzte die Arbeit fort, indem er den weißen Stein zum ‚gelben Goldtstein’ fixierte; und nach etwa drei Jahren gelang ihm die dritte Arbeit, und er erlangte die ‚wahre Universalmedizin von einer Zitrinfarbe’.“

– Karin Figala und Ulrich Neumann: „Author Cui Nomen Hermes Malavici“. New Light on the Biobibliography of Michael Maier (1569–1622)[8]

Maier hat in dem gedruckten, aber nicht veröffentlichten Büchlein „De medicina regia et vere heroica, Coelidonia“ eine Universalmedizin beschrieben. Die Autobiographie fügte er ein, um darzulegen, wie er an diese Medizin gekommen war. Der Titel sagte schon, dass neben den Gerätschaften und Stoffen drei Dinge nötig waren: die königliche selbstbestimmende Kraft des Ich, das mutig heldenhafte Ringen mit den gegnerischen Kräften und die gnadenhafte Mitwirkung des Himmels: „Von der königlichen Medizin, der wahrhaft heroischen, der Himmelsgabe“ heißt der Titel übersetzt. Die innere Seite dieses Prozesses hat auch Stiehle im Blick, wenn er schreibt, dass die Quintessenz (quinta essentia) des Heilmittels „nur mit dem philosophischen Auge erfaßbar ist“.[9]

Im Frühjahr 1607 hatte Maier die dritte Arbeit des großen Werkes abgeschlossen. Nun konnte er wie ein Rabe aus dem Kyffhäuser ausfliegen und von dem verborgenen König und dem verschlossenen Palast Nachricht bringen.

Der vierte Teil des Großen Werkes gelang Maier zunächst nicht. Nach zwei misslungenen Versuchen brach er die Experimente vorläufig ab. Verdächtigungen seitens der Nachbarn, wachsende Kosten und das Fehlen des richtigen „Feuers“ sollen zum Abbruch geführt haben.[10] 1608 eröffnete Maier eine Arztpraxis in Rostock.[11]

Am Hof Kaiser Rudolf II. in Prag

Etwa in der Mitte des Jahres 1608 zog Maier nach Prag, wo der habsburgische Kaiser Rudolf II. residierte. Zwischen Rudolf II. und seinen Brüdern war der „Bruderzwist im Hause Habsburg“ ausgebrochen. Seine Familie zwang den Kaiser, auf seine angestammten Rechte in Österreich, Ungarn und Mähren zu verzichten. Erzherzog Matthias war mit einem Heere zu diesem Zweck vor den Mauern Prags erschienen, und der Kaiser hatte auf seine Macht in den habsburgischen Stammlanden verzichten müssen. Rudolf galt seinen Brüdern und den katholischen Mächten als unsicherer Fürst. Er wollte Kaiser aller Untertanen sein, welcher Zunge und welcher Religion sie auch angehörten. Matthias und seine Anhänger wollten der Gegenreformation den Weg ebnen. Rudolf II. stand im Rufe, den Regierungsgeschäften wenig Zeit zu widmen. Seine melancholische Ader wurde als krankhafte Schwermut missverstanden, seine Ehelosigkeit als Gefahr für die Monarchie angesehen.

Kaiser Rudoilf II. von Habsburg. Kupferstich von Ägidius Sadeler. 1609.

Dass Michael Maier seine Nähe suchte, war kein Zufall. Der Kaiser war selbst ein leidenschaftlicher Jünger des Mercurius. Rudolf II. hatte Dutzende von Alchemisten nach Prag berufen. Auf sein Interesse an der Alchemie ist auch die Einrichtung des durch Gustav Meyrink berühmt gewordenen Alchemistengässleins in der Prager Hochburg, dem Hradschin. zurückzuführen. Die Alchemie galt damals nicht als etwas Weltfremdes, sondern war noch untrennbar der Naturwissenschaft einverwoben, und eine Marmortafel im Hradschin verkündet noch heute, dass dem Kaiser gemeinsam mit dem polnischen Alchemisten Michael Sendivogius eine Transmutation gelungen sei: „Möge jeder das vollbringen, was der Pole Sendivogius vollbracht hat.“[12]

Als Maier nicht gleich von Rudolf II. empfangen werden konnte, schrieb er seine Medicina regia, wahrscheinlich, um sich damit dem Kaiser zu empfehlen. Im Juli 1609 war die Schrift gedruckt; Maier verkaufte sie aber nicht über den Buchhandel, sondern verschenkte sie nur an den Kaiser sowie an ausgewählte Freunde. Der Erfolg blieb nicht aus. Rudolf II. berief den weitgehend Unbekannten zu seinem Leibarzt und Privatsekretär. Im Laufe des Jahres erhob der Kaiser ihn zum Pfalzgraf in den erblichen Adelstand. Das war zwar nicht mit Einnahmequellen verbunden, aber Maier war nunmehr sein eigener Herr, niemand hatte mehr Anspruch auf ihn als Landeskind.

In Prag kam Maier aber nicht nur mit den höfischen Hermetikern und Alchemisten in Kontakt. Rudolf II. hatte berühmte Astronomen wie Tycho Brahe und Johannes Kepler an den Hof gezogen. Giuseppe Arcimboldo, Bartholomäus Spranger, Hans von Aachen und Roelant Savery seien als Hofmaler genannt. Der Bildhauer Adriaen de Vries, der Kupferstecher Aegidius Sadeler, der Alchemist und Arzt Oswald Croll bereicherten das vielfältige geistige und kulturelle Leben am Prager Hofe.[13]

Maier war für kurze Zeit auf einem Höhepunkt seiner äußeren Lebensstellung angelangt. Aus dem unbekannten Arzt aus Rostock war mit einem Schlage ein einflussreicher Mann am Hof des Kaisers geworden, allerdings eines Kaisers, der im Begriff war, seine Macht zu verlieren. Schon am 23. Mai 1611 verlor Rudolf II. durch die Krönung Matthias zum König von Böhmen seine letzte Machtbasis. Zwar blieb er nominell Kaiser, doch besaß er keine eigenen Einnahmequellen mehr und keine militärische Macht. Am 20. Januar 1612 verschied der Kaiser, wurde öffentlich aufgebahrt und im Veitsdom beigesetzt.

Maiers Weg nach England: Weihnachtsgruß an König Jakob I. und VI.

Im Winter 1611/12 schickte Maier einen Weihnachtsgruß an König Jakob I. von England (James I.). Adam McLeans vermutet, Maiers Grußkarte habe dazu gedient, im Winter 1611/12 Zutritt zum englischen Hof zu erlangen um die Hochzeit des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz mit Elisabeth, der Tochter des Königs einzufädeln, mit der eine protestantische Koalition zum Schutz des Rosenkreuzertums geschmiedet werden sollte, ist unbegründet und findet in dem Dokument keine Stütze.[14] Möglicherweise hat Maier aber die Hochzeit am 14. Februar 1613 in London noch miterlebt, ehe er auf den Kontinent zurückkehrte. Ron Heislers dunkle Andeutungen, Maier könne mit dem Tod des genialen englischen Kronprinzen Henry[15] am 6. November 1612 irgendetwas zu tun haben, ist rein spekulativ.[16]

König Jakob I. von England und Schottland. Kupferstich von Wolfgang Kilian.

Maiers Aufenthalt in England

Außer mit dem Leibarzt des Königs William Paddy verkehrte Maier bei seinem ersten Aufenthalt 1612/13 mit Francis Anthony, einem in der Nähe von London äußerst zurückgezogen lebenden Erforscher der Alchemie.

Maier kehrte bald nach England zurück. Craven, der erste Biograf Maiers, der geschrieben hatte, Maier sei mit dem englischen Theosophen Robert Fludd, einem Freund Paddys, freundschaftlich verbunden gewesen, erzählt, Maier habe bei seiner zweiten Rückkehr aus England ein umfangreiches Manuskript Fludds mitgebracht, es für den Druck vorbereitet und 1617 als Tractatus Theologo-Philosophicus. De Vita, More et Resurrectione unter dem Pseudonym Rudolf Otreb herausgegeben. Dies umfangreiche Werk war den „Fratribus a Cruce Roseae dictis“ gewidmet. „Man sagt, es sei auf Maiers Anregung geschrieben worden“, schreibt Craven sogar.[17] Maiers Bekanntschaft mit Fludd ist allerdings in jüngster Zeit bezweifelt worden.

Als Nachwirkung seines englischen Aufenthaltes wertet man es ferner, dass er in dem Buch Tripus Aureus, das auch ins Musaeum Hermeticum aufgenommen wurde, zwei englische alchemistische Traktate übersetzt hat.

In jüngerer Zeit hat Frances A. Yates entgegen den klaren Aussagen der drei allgemein als "echt" anerkannten Rosenkreuzerschriften, dass das Rosenkreuzertum in Deutschland am Anfang des 15. Jahrhunderts entstanden sei, die These aufgestellt, Maier habe das Rosenkreuzertum in England kennengelernt, wo es ursprünglich entstanden sei. John Dee habe auf seinen Reisen in Mitteleuropa den Boden für das Rosenkreuzertum vorbereitet.[18] Ihr Ansatz, eine rosenkreuzerische Kultur und Weltanschauung zu untersuchen, ohne auf die Frage, ob es Christian Rosenkreutz gegeben habe, einzugehen, fand zunächst großen Widerhall, ermöglichte er doch eine wissenschaftliche Erforschung des Renaissanceokkultismus, ohne sich auf die Esoterik einlassen zu müssen.

Maiers Weihnachtsgruß an den englischen König vom Winter 1611/12, den er schrieb bevor irgend eine rosenkreuzerische Schrift erschienen war und bevor er in England gewesen war, belegt aber, dass er schon vor seinem Englandaufenthalt mit den verborgen bereits wirkenden Rosenkreuzern - ob nun mit dem Tübinger Kreis um J.V.Andreae oder dem norddeutschen Kreis um Hinricus Madathanus - verbunden war. Auch die auf ihr Buch aufbauen wollenden wissenschaftlichen Untersuchungen haben die Problematik ihrer These, das Rosenkreuzertum komme aus England, zur Genüge erwiesen.[19]

Erste hermetische Schriften

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland veröffentlichte er 1613 oder 1614 sein erstes eigenes Werk Arcana arcanissima. Das Buch enthält keine Orts- und Zeitangabe. Ob es in Oppenheim oder irgendwo in England gedruckt wurde, wie die Widmung an Sir Paddy vermuten lässt, ist ungewiss. In diesem Werk deutet Maier die ägyptischen Göttergeschichten und die griechischen Göttersagen als imaginative Bilder, die alchemistische Vorgänge bedeuten sollen. Auch die 12 Taten des Hercules versteht er als Entwicklungsweg, so wie auch den Trojanischen Krieg.[20] 1614 kehrte Maier nochmals für einige Zeit nach England zurück.

Spätestens im Sommer 1616 war er aber wieder auf dem Kontinent, und nun erschienen in rascher Folge drei lateinische Schriften, in denen er das hermetische Weltbild, das sich als Bindeglied zwischen den religiösen Glaubensauffassungen und der beginnenden, sich auf die Beschreibung der äußeren Tatsachen beschränkenden Naturwissenschaft verstand, darstellt. Die erste, De circulo physico quadrato, widmete er im August 1616 dem Landgrafen Moritz von Hessen. Maier stellt darin die Beziehung zwischen dem Gold, dem Herzen und der Sonne dar. Es ist das, was im Okkultismus das „Geheimnis der dreifachen Sonne“[21] genannt worden ist. Das Gold nimmt unter den Metallen den wichtigsten Platz ein, es ist das wichtigste Heilmittel für das Herz. Zwischen dem Gold (dem perfekten Zentrum der Metalle), dem Herzen (Zentrum des menschlichen Körpers) und der Sonne (Zentrum des Planetensystems) besteht eine Übereinstimmung. Frick fasst zusammen:

„Unter ihnen gibt es eine Kreisverbindung, in der sich der Mensch und Gott miteinander berühren: Gott gibt der Sonne die Stärke und Kraft, diese läßt die Metalle im Innern der Erde zu Gold reifen, das Gold wiederum kräftigt in Form des Aureum potabilis das menschliche Herz. Durch diesen Kreislauf, der ganz dem antiken und mittelalterlichen Makrokosmos-Mikrokosmos-Denken der Gnostiker und Pansophen entspricht, besteht für den Menschen die Möglichkeit, zu leben und nach seinem Tode für die Seele, zu Gott zurückzukehren.“

– R.H. Frick[22]

Fast gleichzeitig erschien im September 1616 die Schrift Lusus Serius in Frankfurt. In dem seriösen Spiel deutet Maier die vielseitige Funktion Merkurs: Tiere als Vertreter der einzelnen Naturgewalten erscheinen vor einem Tribunal und verteidigen die Alchemie. Der Schiedsspruch des Menschen erklärt dann den Merkur zum Vater aller Metalle und krönt ihn zum König aller Weltbürger.

Schließlich erschien Anfang 1617 sein Examen Fucorum Pseudo-Chymicorum, dessen Widmung ebenfalls in Frankfurt, September 1616 unterzeichnet ist. [23] In dieser Schrift entlarvt Maier eine Reihe von falschen Pseudo-Alchemisten. Um die Alchemie zu verteidigen, muss er zwischen den Betrügern und den wahren Schülern des Mercurius unterscheiden. Bei seiner Rückkehr aus England soll Maier ferner ein umfangreiches Manuskript von Robert Fludd mitgebracht haben, das er für ihn veröffentlicht haben soll.

Wie Maiers erste alchemistische Schriften zeigen, unterschied er zwischen dem uralten hermetischen Weltbild und dem Rosenkreuzertum, denn er stellte das uralte Wissen ohne jeden Bezug zum Rosenkreuzertum dar.

Einsatz für das Rosenkreuzertum

Im Herbst 1616 war Maier zu Michaeli auf der Frankfurter Buchmesse, wohl auch, um seine drei Bücher zu verkaufen. Dort kamen ihm die ersten beiden Rosenkreuzerschriften in die Hände, und er wusste sofort, dass sie echt waren. Nach eigenen Angaben hatte er 1613 zum ersten Mal in England von den Rosenkreuzern gehört. Doch hätten seine englischen Freunde die Nachrichten, die sie erhalten hatten und an ihn weitergaben, ganz missverstanden. Erst nach seiner Rückkehr 1616 habe er erkannt, dass die Rosenkreuzerschriften die Wahrheit sagen, bekennt Maier in dem im Dezember 1616 abgeschlossenen Werk Symbola Aureae Mensae:

„Jene Fama der besagten Bruderschaft, um die hier vor aller Augen und Ohren schon viel Lärm gemacht worden ist, und die, nachdem sie weit und breit im Umlauf war, bis an die äußersten Küsten gelangt ist, drang auch an mein Ohr, als ich in England war und mich ausschließlich mit Alchymie befasste, und zwar durch einige unglaubliche Gerüchte, die gegenüber der Wahrheit weit übertrieben waren. Ich bezweifelte im Vertrauen auf meinen Gewährsmann die Fama zuerst. Zu jener Zeit [1613] wurden aus dem Berberland wundersame Neuigkeiten überbracht, daß nahe an Marokko und Fez irgendein Prophet mit Namen Mullei Om Hamet Ben Abdela sich aus der Zahl der Weisen erhoben habe, der viele okkulte Erkennungszeichen [occulta signa] vorweisen konnte, und den König dieser Region, Mullei Sidan, der mit einem genügend großen Heer ausgerüstet war, fast unbewaffnet mit einer sehr kleinen Schar […] besiegt habe. Weil aber auch diese Brüder [vom Rosenkreuz] nach unbestätigten Gerüchten aus dem Berberland über Spanien gekommen sein sollen, hat man geglaubt, dass sie und der Berber-Prophet dieselben Künste und Einrichtungen besässen. Nachdem das Buch selbst über die Fama und Confession der [Brüder] herausgegeben worden war und durch Fügung des Geschicks seinen Weg zu mir fand, bin ich soweit unterrichtet, daß ich anders über sie urteile und spreche.[1616][24] Es ist in der Tat eine große Sache, die von ihnen betrieben wird, und fast unglaublich; wenn sie sich als erfolgreich herausstellt und sich in der Lebenspraxis als wahr erweist, werden wir ein Leben lang genug haben, über das wir staunen können, und für das wir uns in Wort und Tat mit allen Kräften einsetzen können.“

– Michael Maier: Symbola Aureae Mensae duodecim nationum …[25]

Tatsächlich veröffentlichte er in den folgenden Jahren eine Reihe von Schriften, in denen er sich in einem solchen Maße offen für das Rosenkreuzertum einsetzte, dass dieser Einsatz neben seiner ärztlichen Tätigkeit als seine selbstgewählte Lebensaufgabe angesehen werden darf.

Symbola Aurea Mensae Duodecim Nationum

Das Titelblatt der ersten Verteidigungsschrift vereinigt an einer goldenen Tafel (Aurea Mensa) die führenden Alchemisten von zwölf Nationen. Es sind am oberen Ende der Tafel sitzend: Hermes, der Ägypter, und Maria, die Hebräerin. Im Uhrzeigersinne folgen: der Grieche Democrit, der Römer Morienus, der Perser Avicenna, der Deutsche Albert der Große. Am unteren Ende der Tafel sitzen der Franzose Arnoldus von Villanova und Thomas von Aquin für Italien. Den Kreis beschließen der Spanier Raymundus Lullus, der englische Mönch Roger Bacon, der ungarische Priester Melchior Cibinensis und ein anonymer Sarmate (Pole oder Russe). Jede dieser Persönlichkeiten trägt in einem eigenen Kapitel ihre Symbole herbei und wirft ihre Erkenntnisse gegen die Feinde der Alchemie in die Waagschale.

Das Buch ist dem Fürsten Ernst zu Holstein-Schaumburg (1569–1622) gewidmet, den Maier, wie das Vorwort vom Dezember 1616 berichtet, einst besucht hatte. Er residierte in Bückeburg und Stadthagen. Sein Interesse an der Alchemie ist gut bezeugt. Reich geworden, reformierte der Fürst seinen Kleinstaat, indem er ihm eine neue Residenzstadt schuf, Schulen, eine Universität, eine Druckerei gründete. Das Musikleben am Bückeburger Hof zog Musiker wie Heinrich Schütz an. Der Fürst berief englische Schauspieler an seinen Hof. Auch die berühmte Goldene Pforte im Bückeburger Schloss belegt das Interesse Ernsts an der Alchemie, indem die Gestalt Merkurs in der Mitte unverkennbar die Züge des Fürsten Ernst trägt. [26] Das siebeneckige Mausoleum des Fürsten in Stadthagen, eine Ikone der Weserrenaissance, gleicht in vielem dem in der Fama Fraternitatis beschriebenen „wiederaufgefundenen Grab“ des Christian Rosenkreutz. [27] Diesem Fürsten war es vorbehalten, am Schluss des umfangreichen Buches das Urteil darüber zu sprechen, ob die Verteidiger der Alchemie oder der Angreifer die Oberhand behalten hätten.

Michael Maier. Symbola Aureae Mensae Duodecim Nationum. Frankfurt 1617. Titelblatt.

Das Bild, das Maier hier zeichnet, dass zwölf bedeutende Alchemisten aus zwölf Nationen sich um eine lange Tafel versammeln, ihr Wissen zusammentragen und preisgeben, um die Alchemie für die Zukunft zu retten, erinnert an jene Vorgänge, die Rudolf Steiner als konstitutiv für das Rosenkreuzertum beschrieben hat: das Zusammentragen des gesammelten hermetischen Wissens der Vergangenheit durch zwölf repräsentative Eingeweihte, die Übergabe an den jungen Christian Rosenkreutz und die Umwandlung dieses Wissens in ein christliches Gedankengut, in dem sich die Verwandlungskraft des Christus mit den Wandlungsvorgängen der Initiation verbindet.[28]

Fünf heidnische Weise und sieben christliche sind es, die sich an Maiers goldener Tafel versammeln. Der vorletzte, der vor dem Anonymus Sarmatus erscheint, ist ein ungarischer Priester. Er wird am Anfang seines Kapitels am Altar abgebildet und ausdrücklich wird die Wandlung am Altar, die ja auch bis in die Substanzen wirken soll, als ein alchemistischer Prozess angesehen. Maier betrachtete die Alchemie als eine Kunst, durch die der Mensch zum Mithelfer am Erlösungswerk Christi werde, der Vergeistigung der menschlichen Substanz zum Auferstehungsleib.

Melchior Cibinensis, der ungarische Alchemist und Priester. Aus M.Maier. Symbola Aureae Mensae Duodecim Nationum. Frankfurt 1617, S.509.

Im 6. Buch wird der Beitrag des Albertus Magnus, des deutschen Alchemisten, dargestellt. Im Anschluss daran beschreibt Maier das Kollegium der Rosenkreuzer in einem Sonderkapitel etwas genauer. Er versucht aus den wenigen veröffentlichten Nachrichten der Originalschriften den Orden äußerlich zu rekonstruieren. Will man das Vorgehen nicht als eine Täuschung werten, muss man daraus schließen, dass er nicht zu dem engeren Kreis der Rosenkreuzer gehört hat. Frick, der wie die meisten, die Rosenkreuzerschriften auf einen Freundeskreis um Johann Valentin Andreae als letztverantwortlichen zurückführt, meint, Maier könne zu diesem Tübinger Kreis keine Verbindung gehabt haben.[29]

Die 'Atalanta fugiens' von 1618

Das bekannteste Werk Michael Maiers ist wohl die 1618 bei Johann Theodor de Bry in Oppenheim erschienene kunstvoll komponierte Sammlung von Abhandlungen mit dem Namen Atalanta fugiens, zu der de Brys Schwiegersohn Matthäus Merian ein Titelbild, ein Porträt Maiers und 50 Kupferstiche im Text beisteuerte.

Der Aufbau der Atalanta fugiens weist auf ein spirituelles Anliegen und Wissen Michael Maiers hin. Nach dem Titelblatt, dem ein erläuterndes Gedicht beigefügt ist, folgt eine Widmung vom August 1617, sowie eine Vorrede an den Leser. Der Hauptteil besteht aus 50 Kapiteln von je 4 Seiten, deren viergliedrige Struktur sich bei allen 50 Kapiteln wiederholt. Auf der ersten Seite ist jeweils ein dreistimmiger Kanon auf einen lateinischen Text abgedruckt. Darunter eine deutsche Übersetzung des Liedes. Auf der zweiten Seite befindet sich ein Kupferstich Merians zum Text des Gedichtes. Darunter der lateinische Text des Liedes. Die dritte und vierte Seite enthalten jeweils eine alchemistische Abhandlung in Prosa, die Bild, Lied und Gedicht erklären sollen. In diesem Punkt unterscheidet sich Maiers Schrift grundlegend von älteren alchemistischen Schriften. Er bemüht sich, die drei Formen der spirituellen Erfahrung, nämlich imaginatives Bild, inspirierten Ton und intuitiv vernommenes Wort dem gewöhnlichen Verstand zugänglich zu machen, indem er sie durch einen rein denkerisch und empirisch bestimmten Teil ergänzt. Die Texte dieser Erläuterungen – wie auch der Lieder – enthalten natürlich eine Fülle von Zitaten aus der chymischen Literatur, die von Helena de Jong akribisch nachgewiesen wurden,[30] aber auch „vernünftige Überlegungen“.

Die Geschichte der flüchtenden Atalante, Sinnbild für die Wandlungsvorgänge der strebenden Menschenseele. Titelbild der Atalanta Fugiens von Michael Maier, Oppenheim 1618.

Das Titelblatt erzählt die Geschichte der leichtfüßigen Atalante, Königstochter auf dem Peloponnes. Atalante hatte sich den Versuchen, sie günstig zu verheiraten, lange entzogen. Als der Vater dies nicht länger dulden wollte, bestimmte sie, auf welche Weise ein würdiger Mann gefunden werden solle. Da sie eine schnelle Läuferin war, versprach sie, dem zu eigen sein zu wollen, der sie im Laufen besiegen würde. Eine Niederlage sollten die Freier aber mit dem Leben bezahlen. Nach vielen Unglücklichen versuchte es auch Hippomenes. Auf sein Bitten hin empfing er von Venus drei goldene Äpfel aus dem Garten der Hesperiden. Mit Hilfe dieser Äpfel gelang es ihm Atalante zu besiegen. Siegessicher hatte sie dem Hippomenes einen Vorsprung beim Start eingeräumt. Als sie ihn nun im Wettlauf überholte, warf er einen der goldenen Äpfel in hohem Bogen so zur Seite, dass sie dessen Glanz sehen musste. Von der Neugierde des weiblichen Geschlechtes angezogen, wich sie vom Parcours ab, um sich des goldenen Kleinods zu bemächtigen. So konnte Hippomenes wiederum an ihr vorbeiziehen. Als sie ihn erneut eingeholt hatte, warf er den zweiten Apfel; auch diesmal ließ sie sich von der Aussicht auf ein weiteres Schmuckstück vom Wege abbringen. Das wiederholte sich ein drittes Mal und diesmal gelang es ihr nicht, den Jüngling rechtzeitig einzuholen, so dass er sie gewonnen hatte. Das Paar betrat sogleich den Tempel der Venus und vereinigte sich leidenschaftlich. Venus, dadurch erzürnt, verwandelte sie in ein Paar Löwen.

Die 50 kurzen Kanons, die Maier selbst komponiert hat, bringen den Sinn dieser Parabel zum Erlebnis und offenbaren ihn. Maier nennt die Oberstimme Atalanta Fugiens, die mittlere Stimme Hippomenes Sequens und die Unterstimme Pomum Morans. Der Melodienverlauf spiegelt nun den Gedanken der Nikomachischen Ethik wider, dass in allem die rechte Mitte einzuhalten sei. Die davoneilende flüchtende Oberstimme (die flüchtige Atalante) wird von dem ihr folgenden mittleren Part dadurch eingebunden, dass ihr eine dumpf pochende, langsame Unterstimme (der auf dem Boden rhythmisch aufschlagende Apfel) entgegengesetzt wird. Zwei Gefahren bedrohen den mittleren Weg jedes Menschen: Weltflucht und Erdensucht. Hippomenes hält das Gleichgewicht zwischen diesen beiden, zwischen dem träge in langen Noten dahinfließenden Basso Continuo und den flüchtig versprühenden Tönen der Oberstimme. Maier fordert in seinem Vorwort, jedermann solle dichten und musizieren, wie es in Platos Freundeskreis üblich gewesen sei. Er hoffte also, dass seine dreistimmigen Lieder gesungen würden und ihre mäßigende Wirkung ausüben könnten.

Dem Mann ohne Füße bleibt der Philosophische Rosengarten verschlossen. Aus: Michael Maier. Atalanta Fugiens. 1618. Emblem XXVII. S. 117.
Der Mann mit Füssen kann in den Fußspuren der Göttin Natura wandeln, die ihn in den philosophischen Rosengarten führen. Aus Michael Maier. Atalanta Fugiens. 1618. Emblem XLII. S.177.

Die 27. und die 42. Abhandlung enthalten eine Art Erkenntnistheorie des rosenkreuzerischen Geistesweges. Während der Mann in Emblem 27 keine Füße hat und seine Hände nicht regt, tritt der Forscher in Emblem 42 mit seinen Füßen vorsichtig in die Fußtapfen der Göttin Natura, wobei er sich einer Laterne, einer Brille und eines Stockes bedient. Man muss die Spuren des geistig Wesenhaften in der Natur, wie z.B. die Formen einer Pflanze, mit der eigenen Seelentätigkeit hervorbringen und sich ganz an sie anschmiegen (Fuß in Fußspur), dann erlebt man das Tun der Göttin nach. Es handelt sich um eine anschauliche Schilderung der Goetheschen Phänomenologie. Der Mann im Emblem 27 hat keine Füße ausgebildet und kann den Formen der Natur nicht begegnen. Er muss über das, was sich hinter der Mauer der Naturerscheinungen verbirgt, spekulieren. Maier sagt in der Erläuterung zu Emblem 27, jeder Mensch habe nicht nur zwei Beine, an denen sich Füße befinden, sondern zwei Seelentätigkeiten, nämlich experientia und ratio, d.h. Wahrnehmung und Denken. Wenn er die richtig anwende, dann sprängen die Schlösser an der Pforte auf und er könne in den verschlossenen Garten eintreten. Andernfalls gleiche er Erichthonius, der ohne Füße geboren sei. Der Schmied Vulkan habe sich nämlich einst in Athene, die Göttin der Weisheit, verliebt. Von ihr nicht erhört, habe er versucht ihr Gewalt anzutun. Sie habe sich ihm erfolgreich entwinden können, doch habe seine Erregung sich entladen. Der Same sei auf die Erde geflogen und daraus sei Erichthonius erwachsen. Das Bild weist darauf hin, dass man Geduld braucht, um die (Göttin der) Weisheit zu erringen. Dem ungebärdigen Willen ergibt sie sich nicht. Nur dem geduldigen Liebhaber ihrer Spuren zeigt sie sich, der ihr lange im Dunkel folgt. Im Gedicht zum 42. Emblem charakterisiert Maier die Hilfsmittel des wahren und geduldigen Jüngers der Göttin:

"Dein Führerin die Natur sey, welch’r du must folgen von weiten,
Williglich, anderst du irrst, wo sie dich nicht thut leyten,
Die Vernunfft sey dein Stab, und es muß stärcken die Erfahrnheit
Dein Gesicht, daß du könnst sehen, was gelegt ist weit und breit,
Daß Lesen sey wie ein Lamp im finstern leuchtend hell und klar,
Dadurch du mögst verhüten der Sachn und Wörter Gefahr."[31]

Silentium post clamores 1617

In der 1617 erschienenen Schrift Silentium post clamores trat er erneut für die Existenz des Ordens ein. Dessen beharrliches Schweigen auf die Bitten und Aufforderungen, sich zu erkennen zu geben, verteidigte er ausdrücklich mit den Worten:

„Wer an der Existenz der Rosenkreuzer-Gesellschaft zweifelt, der sollte sich vergegenwärtigen, daß die Griechen, die Ägypter, die Araber u.s.w. solche Geheimgesellschaften besaßen; inwiefern soll es da absurd sein, daß sie heute existieren? Ihre Hauptgrundsätze der Selbsterziehung sind ‚Gott zu ehren und zu fürchten über allen Dingen, ihren Mitmenschen soviel Gutes zu tun, als sie nur können.‘ Was in der ‚Fama‘ und der ‚Confessio‘ enthalten ist, ist wahr. Es ist ein sehr kindlicher Einwurf, daß die Bruderschaft so viel versprochen und so wenig durchgeführt habe. Die Meister des Ordens bieten die Rose als einen fernen Gewinn dar, aber sie legen das Kreuz all denen auf, die eintreten. Wie die Pythagoräer und Ägypter fordern die Rosenkreuzer Gelübde der Geheimhaltung und des Schweigens. Unwissende Männer haben das Ganze als freie Erfindung behandelt; es beruht aber auf der fünf Jahre währenden Prüfung, der sie selbst gut vorbereitete Novizen unterwerfen, bevor sie zu den höheren Mysterien zugelassen werden; innerhalb dieser Zeit haben sie zu lernen, ihre Zunge zu hüten.“

– J.B. Craven: Count Michael Maier. … Life and Writings.[32]

Themis Aurea 1618

Ebenfalls bei Lucas Jennis erschien 1618 Maiers Schrift Themis Aurea. Auch der Zweck dieses Werkes ist eine Verteidigung der Rosenkreuzer. Maier erklärt und rechtfertigt die in der Fama beschriebenen Gesetze des Rosenkreuzerordens, die 1413 angenommen worden seien [33   und jetzt, nachdem sie sich 200 Jahre lang bewährt hätten, veröffentlicht worden seien. Auch in dieser Schrift weist er auf das sehr hohe Alter des Rosenkreuzer-Wissens hin. Es sei in der Form der Sieben Freien Künste schon vor der Sintflut vorhanden gewesenund habe diese überdauert, weil es in zwei Säulen eingeritzt worden sei, die weder durch Feuer noch durch Wasser zerstört werden konnten. Die jüdische Kabbala enthalte diese Geheimnisse nur noch bruchstückhaft.[34]

Siegel der Rosenkreuzer. Aus Themis Aurea. The Mysteries and Laws of the Rosicrucians. London 1656, S.114-115.

Bei Besprechung des 5.Gesetzes der Fama, welches bestimmt, dass das Wort R.C. das Siegel, die Losung und das Kennzeichen der Brüder sein soll, bildet die englische Ausgabe der Themis Aurea ein Siegel ab, das weder in der Fama noch in der Confessio enthalten ist. Maier gibt keine Quelle an, erklärt aber ausdrücklich, dem Siegel wohne „keine Zauberkraft inne, wie man sie in dem Wort Abracadabra vermutet“. Er halte das R für den substantiellen Teil, das C für den adjektivischen. [35

Maiers letzteJahre

1619 war Maier zum Leibarzt des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel ernannt worden. Da er aber spätestens 1620 in Magdeburg wohnte, war dies offensichtlich eine Ehrenernennung, die ihm den Lebensunterhalt sichern sollte.

1622 erschien seine letzte selbst veröffentlichte Schrift, merkwürdigerweise in Rom, ein Jahr später erneut in Rostock, die Cantilenae intellectuales de Phoenice redivivo. Die geistigen Gesänge über die Auferstehung des Phönix, so die Übersetzung des Titels, sind durchgehend in lateinische und französische Reime gefasst.[36]

In Magdeburg verliert sich seine Spur im Herbst 1622.

„Von seinem Freunde, der 1624 seinen Ulysses veröffentlicht hat, wird uns erzählt, dass Maier ‚fromm‘ gestorben sei, und ihm vor dem Tode den kleinen Traktat zu getreuen Händen übergeben habe."[37]

Maier scheint bis zuletzt dem Lutherischen Bekenntnis treu geblieben zu sein. Er habe den Gottesdienst regelmäßig besucht und als Christ gehandelt, wie es in der Parabel des guten Samariters beschrieben sei, schreibt der Freund weiter. Auch die Fama Fraternitatis nennt als Aufgabe der Brüder unter anderem, dass sie ihre ärztliche Kunst unentgeltlich üben sollen. Von Michael Maiers Grab gibt es keine Spur.

Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, die 1631 die totale Zerstörung Magdeburgs mit sich brachten, haben in Magdeburg weder die Kirchen noch die Sterberegister überstanden. So teilt Michael Maier das Schicksal des Rosenkreuzertums auch in dieser Hinsicht.

Während Michael Maier mehrere Schriften aus dem Englischen ins Lateinische übertrug und in Deutschland herausgab, wurden seine Werke - zumindest einige - erst dreißig Jahre nach seinem Tod ins Englische übersetzt. 1654 soll John Hall Maiers 'Lusus Serius' übersetzt haben und 1656 folgte die Themis Aurea aus anderer Hand: Die Übersetzer N.L. und T.S. H.S. widmeten ihr Buch "dem einzigen Philosophen der gegenwärtigen Zeit" Elias Ashmole. Als dieser gefragt wurde, wer die Verfasser der Zueignung seien, soll er gesagt haben, er habe es vergessen. Nun ja ... .

In England betrachtete man die echten Rosenkreuzerschriften als symbolische Darstellungen der Templergeheimnisse und der Freimaurergrade.[38] So hatte man in den kompetenten Kreisen kein Interesse, die Verbreitung dieser Schriften zu fördern. Doch hat es handschriftliche Übersetzungen ins Englische gegeben. Eine solche Übersetzung des Viatorium aus dem „späten 18. Jahrhundert“ wurde von Adam McLean herausgegeben.[39] So muß mit einer beträchtlichen Wirkungsgeschichte in den Kreise derer gerechnet werden, die in seinem Werk ein okkultes Wissen zu finden vermochten oder suchten. Das drückt sich ebenso in der Widmung an Elias Ashmole aus wie auch in dessen spurenverwischender Antwort.

Das Buch Atalanta Fugiens wurde in Deutschland mehrfach wiederaufgelegt. An der Entwicklung der Auflagen zeigt sich das zunehmende Unverständnis gegenüber Maiers Intentionen. Als das Werk 1687 in Frankfurt aufgelegt wurde, wurden die fünfzig Kanons gestrichen, auf die der ursprüngliche Titel des Buches anspielte und deren Aufbau dem Verständnis so hilfreich sind. Der lateinische Text wurde bereinigt, so daß darin kein Hinweis auf die Musik mehr war. Selbst in dem völlig veränderten Titel war von den Augen und dem Intellekt die Rede.[40] 1708 wurde die Atalanta fugiens erneut in Frankfurt aufgelegt, wieder unter einem neuen Titel: „MICHAELIS MAJERI Chymisches Cabinet, derer großen Geheimnussen der Natur durch wohl ersonnene sinnreiche Kupfferstiche und EMBLEMATA … dargestellet …[41] Die Erläuterungen der Bilder wurden für diese Ausgabe erheblich gekürzt und ins Deutsche übersetzt, wobei nicht nur die sorgfältig von Maier eingefügten Referenzen sondern teilweise auch der Sinn verloren ging. Möglicherweise ging es hier schon um die Vermarktung der Kupferstiche.

Anmerkungen

  1. Priesner und Figals: Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft. München 1998. In der älteren Literatur wird das Geburtsjahr mit 1566 in Rendsburg. Die Aussage ist aus dem 17.Jhdt. überliefert, aber ohne dokumentarisdche Bestätigung.
  2. Sicher ist nur, dass es nach Maiers Aufenthalt in Magdeburg 1622 keine Spuren mehr gibt.
  3. Siehe dazu den Eintrag der Immatrikulation von Michael Maier im Rostocker Matrikelportal.
  4. Hans Roger Stiehle: Michaelus Maierus Holsatus (1569–1622), Alchemist und Arzt. Ein Beitrag zur naturphilosophischen Medizin in seinen Schriften und zu seinem wissenschaftlichen Qualifikationsprofil. Diss. München. 1991, S. 269.
  5. Es ist nur ein Exemplar davon erhalten: Kopenhagen. Königliche Bibliothek. 12, -159,4°.
  6. Michael Maier: Medicina regia et vere Coelidonia. Zitiert nach Karin Figala und Ulrich Neumann: „Author Cui Nomen Hermes Malavici“. New Light on the Biobibliography of Michael Maier (1569–1622). In: Alchemy and Chemistry in the 16th and 17th Centuries. Ed. Piyo Rattansi & Antonio Clericuzio. Kluwer Academic Publishers. Dordrecht/Boston/London 1995, S. 127.
  7. Michael Maier: Medicina regia et vere Coelidonia. Zitiert nach Karin Figala und Ulrich Neumann: „Author Cui Nomen Hermes Malavici“. New Light on the Biobibliography of Michael Maier (1569–1622). In: Alchemy and Chemistry in the 16th and 17th Centuries. Ed. Piyo Rattansi & Antonio Clericuzio. Kluwer Academic Publishers. Dordrecht/Boston/London 1995, S. 128.
  8. Karin Figala und Ulrich Neumann: „Author Cui Nomen Hermes Malavici“. New Light on the Biobibliography of Michael Maier (1569–1622). In: Alchemy and Chemistry in the 16th and 17th Centuries. Ed. Piyo Rattansi & Antonio Clericuzio. Kluwer Academic Publishers. Dordrecht/Boston/London 1995, S. 128–129.
  9. H. R. Stiehle. a. a. O., S. 270.
  10. Brief vom 4. August 1610 von Maier an Prinz August von Anhalt-Plötzkau. Siehe: Karin Figala und Ulrich Neumann: „Author Cui Nomen Hermes Malavici“. New Light on the Biobibliography of Michael Maier (1569–1622). In: Alchemy and Chemistry in the 16th and 17th Centuries. Ed. Piyo Rattansi & Antonio Clericuzio. Kluwer Academic Publishers. Dordrecht/Boston/London 1995, S. 129 und Anm. 47.
  11. Bruce T. Moran: The Alchemical World of the German Court. Occult Philosophy and Chemical Medicine in the Circle of Moritz of Hesse. Stuttgart 1991, S. 103.
  12. Gertrude von Schwarzenfeld: Rudolf II. Der saturnische Kaiser. München 1961, S. 71.
  13. Erich Trunz: Wissenschaft und Kunst im Kreise Kaiser Rudolf II. 1576–1612. Neumünster 1992. Mit vielen Abbildungen von Kupferstichen.
  14. Adam McLean. A rosicrucian manuscript of Michael Maier. In: The Hermetic Journal. 1979. Nr.5, S.4-7. Mit einer Nachzeichnung der Blüte, deren Wiedergabe des lateinischen Textes allerdings voller Fehler ist.
  15. Roy Strong: Henry Prince of Wales and England’s Lost Renaissance. London 1986.
  16. Ron Heisler: Michael Maier and England. In: The Hermetic Journal. 1989. Er bringt ihn ferner aufgrund sehr weniger Indizien mit der mutmaßlichen Vergiftung Overburys im Tower in Verbindung.
  17. J. B. Craven: Count Michael Maier, S. 6.
  18. Frances A. Yates: The Rosicrucian Enlightenment. London und Boston 1972, S. 220–221.
  19. Ralph White (Hrsg.): The Rosicrucian Enlightenment revisited. Lindisfarne Books, Hudson 1999, ISBN 0-940262-84-3.
  20. Ausführliches Referat in englischer Sprache in J.B. Craven: Count Michael Maier. S. 31–50.
  21. Rudolf Steiner. Vortrag in Dornach am 18. Dezember 1920. In: R. Steiner: Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen. Gesamtausgabe Band 202. Dornach 1970. S. 183–198. Hier bes. S. 195–198.
  22. R.H. Frick 1972.
  23. Wolfgang Beck: Michael Maiers Examen Fucorum (Diss. TU München), 1992.
  24. Gedruckte Randnotiz in Maiers Symbola Aureae Mensae Duodecim Nationum. Frankfurt 1617
  25. Michael Maier: Symbola Aureae Mensae duodecim nationum … Frankfurt 1617. Nachdruck Graz 1972, S. 290.
  26. Helge Bei der Wieden: Ein norddeutscher Renaissancefürst. Ernst zu Holstein-Schaumburg. 1569–1622. Bielefeld 1994. S. 29.
  27. Marie-Theres Suermann: Das Mausoleum des Fürsten Ernst zu Holstein-Schaumburg in Stadthagen. Berlin 1984. S. 67 ff.
  28. Rudolf Steiner: Das rosenkreuzerische Christentum. 2 Vorträge. Neuchatel 27.–28. September 1911. In: R. Steiner: Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit. Gesamtausgabe Bd. 130. Dornach 1962. S. 57–79, hier S. 60–63.
  29. Karl R.H. Frick. Einleitung. In: M. Maier: Symbola Aureae Mensae duodecim nationum. Nachdruck Graz 1972. S. XVIII.
  30. H.M.E. de Jong: Michael Maier’s Atalanta Fugiens: sources of an alchemical book of emblems. Leiden 1969., 2. Aufl., York Beach 2002.
  31. Michael Maier: Atalanta Fugiens. Frankfurt. 1618. S. 176.
  32. Zitiert nach J.B. Craven: Count Michael Maier. … Life and Writings. S. 67. – John Yarker gibt irrtümlich an, diese Äußerung sei in der Themis Aurea enthalten. A. a.O. S.77.
  33. Michael Maier: Themis Aurea. The Laws of the Fraternity of the Rosie Crosse. London 1656. S. 24 und 120.
  34. Michael Maier: Themis Aurea. The Laws of the Fraternity of the Rosie Crosse. London 1656. S. 109.
  35. Michael Maier: Themis Aurea. The Laws of the Fraternity of the Rosie Crosse. London 1656. S. 114–115.
  36. Eine deutsche Übersetzung bietet Erik Leibenguth: Hermetische Poesie des Frühbarock. Die ‚Cantilenae intellectuales‘ Michael Maiers. Edition mit Übersetzung, Kommentar und Bio-Bibliographie. Tübingen 2002.
  37. J. B. Craven: Count Michael Maier. 1902. S. 8.
  38. John Yarker: Notes on the scientific and religious Mysteries of Antiquity. London 1872, S. 77.
  39. Yale University Library. Mellon Collection. Ms. 114. The Viatorum of Michael Maier. Edited by Adam McLean. A 17th century English manuscript translation. Glasgow 2005.
  40. Michaelis Majeri … Secretioris Naturae Secretorum Scrutinium Chymicum, per oculi et intellectui … Francofurti … M.DC.LXXXVII. Landesbibliothek Eutin: Rc 118.
  41. Yale University Library: German Baroque Literature. Nr. 677.
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© Rolf Speckner